Der verkannte Kaiser – Vortrag am 03.05.2004 vor den Sternkreuzordensdamen in Altötting

Wenige Wochen nach dem Tod Kaiser Karls schrieb Kaiserin Zita an den letzten königlich ungarischen Außenminister, Dr.Gustav Gratz:

“[…]Es ist selten ein Herrscher so verkannt worden, wie dies beim König der fall war und es gibt wohl kaum einen, der wie er alles besaß, um seine Völker glücklich zu machen. Undank, Verleumdung und schwere Kränkungen waren sein Los, denen schließlich sein edles Herz nicht mehr standhalten konnte.

Die Schüsse von Budaörs und nicht die Hitze von Madeira waren seine wirkliche Todesursache. Sein Mut jedoch war ungebrochen und sein Vertrauen in die Zukunft seiner Länder verließ ihn auch im Tode nicht.<Ich muß so viel leiden, damit meine Völker sich wieder zusammenfinden>, sagte er mir in der Agonie. Dann fügte er wörtlich hinzu:<Ich verzeihe ihnen!>[…]”

Diese Zeilen haben seit 1922 nichts an Aktualität verloren. Das Bild des Kaisers, seine Persönlichkeit und seine Handlungen sind bis heute von Memoirenliteratur, Antipropaganda – und Verteidigungsschriften perspektivisch einseitig bis verfälscht überliefert und beurteilt. Das Kaiserpaar mußte in seiner schwierigen Position sehr verschwiegen sein, die Informationen der unter ihm Stehenden waren genährt vom Hörensagen. Die Urteile stammten entweder aus Eindrücken in Audienzen oder von anderen Begegnungen mit dem Kaiser, oder sie folgten den Interpretationen von Mitarbeitern. Werkmann und Polzer–Hoditz waren nach den Tod des Herrschers zu seiner Verteidigung gegen die Verunstaltung des Herrscherbildes durch Czernin und in der .öffentlichen Meinung Deutschlands angetreten , sie wußten auch nur einiges im eigenen Rahmen. Andere Kaiserbilder sind von Ressentiments der Militärs wie Conrad, Cramon, General Alfred Krauss verfleckt und überdeckt worden. Sie machten den Kaiser für die Schmach der Niederlage verantwortlich. Ihnen und anderen Memoirenschreibern folgen bis heute die Militärhistoriker. Mit Ausnahme von Plaschka/Haselsteiner/Suppans Studie zum Nationalitätenproblem in der k.u.k. Armee[ii] wiederholen sie häufig aus dem großen Generalstabswerk der 30er Jahre des 20. Jahrhunderts[iii], das vieles zwischen den Zeilen sagt, verschweigt oder kaschiert und garnieren ihre Darstellung mit wenigen Dokumenten aus der Fülle des Kriegsarchivs oder des Heeresgeschichtlichen Museums in Wien. Die mehr oder minder einzige sogenannte wissenschaftliche Biographie von Kaiser Karl stammte von Reinhold Lorenz aus dem Jahr 1959.[iv] Sie ist ohne Anmerkungen veröffentlicht und, wie einer meiner Schüler in seiner Dissertation überprüfte, hatte Lorenz einen Großteil seiner Informationen aus zeitgenössischen Zeitungen, auch er verarbeitete nur wenige Dokumente aus dem Haus–, Hof- und Staatsarchiv. Die Bücher von Zessner Spitzenberg und Thanner, von Feigl, Brook–Shepherd, und Griesser–Pecar bringen eine Tradition von Kaiserin Zita im wissenschaftlichen, popular – und pseudowissenschaftlichen Journalismus. Sie legten zur Erhärtung ihrer Darstellungen auch einige wenige Dokumente vor, mit denen auch sie weder skrupelhaft noch nach den Regeln der historischen Zunft umgingen. Ähnlich verhält es sich mit den Kaiserbüchern aus dem französischen Raum von Dugast Roullé und Francois Fejtö oder mit den Studien der ungarischen Damen Maria Ormos und Magda Adam zu den Restaurationsversuchen.

Erst das Beatifikationsverfahren bot den Mitgliedern der Historikerkommission die Möglichkeit, die Zeugenprotokolle des Seligsprechungsprozesses und den Nachlaß des Kaisers zu benützen, seine Papiere zu studieren, Aussagen und Kommentare der Kaiserin wie einzelner Familienmitglieder und von Zeugen aller Art aus der Umgebung des Kaisers zusammen zusehen, zu vergleichen und sich auf diesem Weg wissenschaftlich der historischen Wahrheit zu nähern. Die k.u.k. Staatspapiere waren seit November 1918 in den Archiven Österreichs und in denen der Nachfolgestaaten zerstreut, z.T. in privaten Nachlässen geborgen, skartiert oder deportiert, jedenfalls sind sie unvollständig. Mit der Landesverweisung und Dethronisation waren die Papiere des Kaisers verschwunden. Kaiserin Zita konnte sie bewahren, im St. Johannesstift in Zizers, ordnen und für die Nachwelt erhalten.

Mit der Wiederaufnahme des seit 1952 laufenden Seligsprechnugsverfahrens bildete die vatikanische Heiligsprechungskongregation im Sommer 1986eine internationale Historikerkommission. Sie sollte den damaligen Forschungsstand zu Karl von Österreich mit den Zeugenprotokollen der causa konfrontieren, die Stagnation in der biographischen Forschung überwinden und korrigieren. Denn die 78 Zeugenprotokolle der causa Caroli a (e) domo Austrie, von acht internationalen kirchlichen Gerichtshöfe erstellt, hatten das bis dahin tradierte Kaiserbild als unwahr entlarvt.

Als ich mich im Frühling 1987 bestimmen ließ, dieser Historikerkommission beizutreten, stellte ich, nachdem ich keine Spezialistin für die Zeit des Ersten Weltkrieges war, zur Bedingung, ernsthafte Forschungen machen, an neues Material herankommen und es auch publizieren zu können. Ich betrachtete es als sinnlos, aus 20 Büchern oder Aufsätzen ein einundzwanzigstes Elaborat herzustellen, und für Schubladen oder Archivschachteln zu arbeiten. Auch schien es mir in der Erinnerung an die Probleme, die nach der Heiligsprechung Papst Pius X. aufgetreten waren, unverantwortlich, für eine irreversible Entscheidung des Heiligen Stuhles oberflächliche Gutachten zu liefern. 1970 waren Dokumente aufgetaucht und veröffentlicht worden, die das Pontifikat Pius X. belasteten und die Beatifikation des Papstes in Frage stellten. Der Vorwurf, historisch nicht einwandfrei gearbeitet zu haben, traf damals die Kommissionen. Sie hatten die Modernismuskrise nicht gründlich genug untersucht, und damit die großen Kontroversen über Heiligsprechungen an sich ausgelöst.

Der damalige Postulator für die causa Caroli a (e) domo Austrie, Prälat Univ.-Prof. DDr. Winfried Schulz, ein international sehr angesehener und prominenter Kanonist, hatte mich verstanden und zusammen mit Prof. Eszer mir die vatikanischen Archive und das Archiv der Heiligsprechungskongregation geöffnet. Die beiden Professoren waren, noch bevor ich zu arbeiten begann, mit der Publikation meiner Gutachten in prominenten Fachzeitschriften ganz einverstanden. Ich wählte zuerst das Thema Kaiser Karl und die Kirche, seine Beziehungen zu Papst, Nuntien, Bischöfen, das neu zu untersuchen war und konnte mit Sondergenehmigungen in den Jahren 1987–1990 im Vatikan arbeiten. Dabei erkannte ich sehr bald die große Bedeutung der dortigen Dokumente, nicht nur für die Biographie Kaiser Karls sondern auch für die österreichische Geschichte am Ende des Ersten Weltkrieges und im Übergang zur Republik. Nach Abschluß der Gutachten sollte ich dann die beeideten Zeugenprotokolle der causa auf ihre Relevanz als historische Quelle prüfen, Wahrheitsgehalt und Quellenwert, besonders jener der Aussagen von Kaiserin Zita, feststellen. Bei dieser Arbeit, die Forschungen in internationalen Archiven erforderte, zeigte sich, daß in den Transsumpta (Copien der Prozeßakten) verschiedene Dokumente fehlten, auf die sich die Kaiserin bezogen hatte. Schließlich wurde mit römischer Erlaubnis der Archetypus der Prozeßschriften in Wien geöffnet und man brachte jene Dokumente ans Licht, die der Wiener Offizial als “uninteressant” oder nicht “relevant”, weil sie zu brisant waren und vielleicht nicht in seine Vorstellungen paßten, aussortiert, den Aussagen der Kaiserin nicht angefügt, versiegelt und unter seinem eigenen Bett versteckt hatte. Erst diese Dokumente ermöglichten es, die bis heute fällige Biographie des Kaisers historiographisch einwandfrei zu erarbeiten, sein echtes Bild von jenen übermalten, unter–oder überbelichteten, verschwärzten und verfleckten, ins Gegenteil karikierten und verkehrten zu unterscheiden, das Pamphlete, Memoirenliteratur und Panegyrika multipliziert tradieren und auf die sich bis heute! alle wissenschaftlichen, popularwissenschaftlichen und journalistischen Autoren stützen.

Wie tief dieseBilder in den Menschen fixiert sind, zeigte mir vor Jahren eine kleine Episode. Ein wichtiger Mann im Wiener Seligsprechungsverfahren las einen Aufsatz von mir mit neuen Erkenntnissen. Danach sagte er abfällig: “Na, des is net mei Kaiser Karl!”

Im Herbst 1990 nach Abschluß aller Gutachten begann ich im Einvernehmen mit Rom mit der Vorbereitung zu einer Dokumentenausgabe. Ich wollte die Papiere aus dem Nachlaß des Kaisers, die in beglaubigten Kopien vorlagen–es handelt sich um Korrespondenzen, politische Berichte, Weisungen, Reflexionen, Memoranden und Tagebücher–mit den Gegenstücken aus internationalen Archiven vergleichen und ergänzen. Inzwischen war es auch klar geworden , daß die aus dem kaiserlichen Nachlaß gedruckten Dokumente bearbeitet, verändert oder fehlerhaft vorlagen. So hatte z. B. Kaiserin Zita Werkmanns Büchlein, Aus Kaiser Karls Nachlaß, autorisiert. Sie kannte den Verlauf des ersten Restaurationsversuches aus Erzählungen, den originalen Bericht, den der Kaiser diktiert hatte, und der in ihrem Archiv im Stenogramm liegt, nicht. Werkmann, der Sekretär und einstige Kriegsjournalist, hatte die maschinschriftliche Übertragung des stenographischen Diktates an 166 Stellen zerrissen, verändert und manipuliert, Selbsterfundenes eingefügt.Meine Mitarbeiterin, Dr. Lotte Wewalka, und ich, konnten das beim Vergleich mit der transkribierten Fassung aus dem Archiv von Aladár von Boroviczény feststellen. Kaiser Karl hatte Boroviczény die Publikationsfassung zum Druck in Ungarn anvertraut. Das gelang dann nicht, das Typoskript war im Privatarchiv Boroviczénys gelandet und nach meiner Anfrage vor einigen Jahren von seinem Sohn gefunden worden. Die manipulierte Fassung Werkmanns wiederum diente in der Folge als Quelle, die andere Autoren wie Brook–Shepherd, Feigl etc., benützten, kürzten und bearbeiteten. An diesem Beispiel zeigt sich wieder einmal, wie unbefangen respektlos auch bestgesinnte Mitarbeiter und Mitstreiter Kaiser Karls wie Werkmann oder Feigl mit seinen Papieren umgingen.

Nach 1990 konsultierte ich mit Mitarbeitern 41 öffentliche, kirchliche und private Archive in Europa und in den USA, um diese erste österreichische Dokumentenausgabe zum Ende Österreich–Ungarns herausbringen zu können. Es werden Dokumente in sechs verschiedenen Sprachen veröffentlicht; nach Text, Inhalt und Personen überprüft und kommentiert. Die beglaubigten Kopien aus dem Nachlaß des Kaisers konnten wir dank der Erlaubnis IKH Eh Regina 1994 in Zizers (Schweiz) zum Teil prüfen und vergleichen. Alles Neue, das die Prozeßakten und kaiserliche Nachlaßpapiere an Information liefern, liegt nun historiographisch gesichert, vielfach belegt, ergänzt, kommentiert und kontrollierbar vor.

Die Auswertung dieser Dokumente, und ihre Verbindung mit den bis jetzt herausgekommenen internationalen  Dokumentenausgaben ermöglichte die historiographische Rekonstruktion der Biographie des Kaisers im Synchron mit den politischen Ereignissen am Ende Österreich–Ungarns. Ich versuchte, das Thema von der subjektiven Traumatisierung, von der kollektiven Verhetzung der Besiegten wie von den arroganten Urteilen der Deutschen zu lösen, und auch die Gegner und ihre Standpunkte, unter ihnen solche aus dem eigenen Reich, zu zeigen. Erstmalig konnte die gemeinsame Friedenspolitik von Kaiser Karl und Papst Benedikt XV. unter Mitwirkung von Eugenio Pacelli und diverser Geheimdiplomaten zusammenhängend rekonstruiert werden.

Das Opus magnum “Untergang oder Rettung der Donaumonarchie wurde in die Universitätsserie “Veröffentlichungen zur Neueren Geschichte Österreichs als Band 100/1+2[v] aufgenommen. Es wird vor der Beatifikation des Kaisers im Verlag Böhlau erscheinen und hoffentlich die Seligsprechung des Kaisers plausibel machen.

Es ist natürlich nicht möglich, in einer halben Stunden über alle neuen Ergebnisse zu Kaiser Karl zu berichten. Sie betreffen seine gesamte Lebens–und Regierungszeit, seine Persönlichkeit, seine politischen Ideen, seine Beziehungen zu Papst Benedikt XV., das Schweizer Asyl, die beiden Restaurationsversuche, die Gefangennahme des Kaiserpaares, seine Verbannung und den Tod des Kaisers in Madeira.

Deshalb will ich heute versuchen, etwas ausführlicher als bei meinem Wiener Vortrag im Februar auf die Persönlichkeit des Kaisers, auf seine politischen Ideen und Ziele einzugehen, und die Ursachen für die Verunstaltung seines Bildes aufzudecken.

Die Erziehung und Ausbildung Kaiser Karls war, entgegen den Behauptungen manch angeblich Wissender wie Koerber, Conrad und Czernin, profund und sorgfältig. Sie entsprach den damaligen Gymnasial–und juridischen Universitätsstudien, erfolgte im privaten Rahmen und blieb ohne Graduierung, weil Kaiser Franz Joseph dem Erzherzog nicht erlaubte, in die Konkurrenz zu treten, Matura abzulegen oder Doktorat zu erwerben. Seine militärische Ausbildung bis zum Generalstabsoffizier verlief zur völligen Zufriedenheit der Kommandanten, die Qualifikationen sind voll des Lobes, was nicht selbstverständlich war, wie der Vergleich mit den Qualifikationslisten anderer Erzherzöge ergab. Der Generalstabschef Franz Conrad von Hötzendorf wollte sich nach Kriegsbeginn vom Thronfolger nicht in die Kriegspläne schauen lassen und verweigerte ihm deshalb die praktische Generalstabsausbildung. Ähnlich war es mit der Einführung in die Staatsgeschäfte. Der Thronfolger hörte Vorträge von Ministern und Beamten, doch Kaiser Franz Joseph ließ sich in der Praxis von ihm durchaus nicht helfen, trotz sechsmaligem Vorstoß. Wie heute aus den Schriften des jungen Kaisers deutlich wird, hatte er sich über die Monarchie, über Land und Leute wie über die Armee selbst sehr genaue Kenntnisse angeeignet. Kaiser Franz Joseph, der auch Eh Franz Ferdinand politisch kalt gestellt hatte, hinterließ kein politisches Testament; er hatte den Satz, “die Verantwortung vor der Geschichte trägt immer nur der Monarch,” Eh Carl eingeprägt.

Der alte Kaiser beschrieb den Großneffen als “gescheidt und voller gutem Willen”, der letzte k.u.k. Außenminister Ludwig von Flotow bezeichnete ihn als ” offenen Kopf”, überdurchschnittlich intelligent und mit einem fabelhaften Gedächtnis, fähig, exakt und essentiell Sitzungsergebnisse zu resumieren. Dieses Urteil spiegeln auch seine Tagebücher und der Rechenschaftsbericht über die Regierungszeit. (Persönliche Aufzeichnungen, 90 Seiten). Es konnte nicht anders sein, dem jungen Kaiser mangelte es an Regierungspraxis und trotz großer Intuition an Menschenkenntnis und an dem Mißtrauen, das aus der Erfahrung stammt.

Kaiser Karl war ein sehr gründlicher, dynamischer Mensch, okkupiert von seiner Aufgabe, einsatzbereit, selbstbewußt, energisch, einfach und ohne Pose, ein Choleriker, sportlich, mit großem Bewegungsdrang und volksnah. Er hatte Humor, sprach und schrieb z. T. Wienerisch, was viele Austriazismen seiner Schriftstücke belegen. Aus der Erfahrung eigener familiärer Probleme war er, sehr kinderliebend, um die Gestaltung einer schöne Ehe und einer glücklichen Familie bemüht. Tief religiös, gewissenhaft und sendungsbewußt, hatte er ein fast skrupelhaftes Verantwortungsbewußtsein. Das Gottesgnadentum, heute nicht mehr verstanden und meist nur agressiv kommentiert, bürdete ihm die absolute Verantwortung auf. Königsweihe und Krönungseid forderten die Verwirklichung der Königstugenden, die Ordnung des Reiches nach innen und seinen Schutz vor äußeren Feinden (nicht nur den politischen sondern auch den religiösen). Der christliche König war, so die mittelalterlichen Königstheologie imago Dei , das Abbild Gottes und als typus Christi zu seiner Nachfolge berufen.

Man sprach und schrieb beim Regierungsantritt viel über die Höflichkeit, Güte und zauberhafte Liebenswürdigkeit des neuen Herrschers, von seiner glücklichen Ehe, von der anfänglichen großen Popularität, jedoch kaum etwas über seine Einstellung zu politischen Fragen, und natürlich nichts über seine klaren Grundsätze zum Vorrang von Staatsinteressen vor Familieninteressen und Bündnispflichten, und über seine Einstellung zu Eid, Macht und Geld. Bis heute weiß man nichts über die enorme Strenge und Härte des Kaisers gegen sich selbst, was persönlichen Pflichten und Aufgaben betraf. Ich denke an die vielen unqualifizierten Urteile über fortwährende Truppeninspektionen und Ordensverleihungen, über seine Rolle als Armeeoberkommandant, an die Kritik über jeden geringsten “Schmarrn”, um seinen Kammervorsteher und Generaladjutanten  Zdenko Lobkowitz zu zitieren, oder über den angeblichen Operettenputsch des Ersten Restaurationsversuches, der, nach dem berühmten Schweizer Historiker Karl Jacob Burckhardt, eines Habsburgers unwürdig war. Burckhardt, damals Attaché an der schweizerischen Botschaft in Wien, überliefert bösartige Dicta aus dem Mund von Sozialdemokraten aus dem Wiener Parlament, die über den Auferstehungsversuch des Kaisers in Ungarn höhnten. Die Fakta kannte der Polizeiberichterstatter aus Bern. Er hatte nachgeforscht, wie es Kaiser Karl gelungen war, unerkannt vor Ostern 1921 die Schweiz zu verlassen: kaum drei Wochen nach der Geburt und Taufe seiner kleinen Tochter Charlotte ging der Kaiser am Gründonnerstag, den 24. März 1921 mittags durch den Hinterausgang aus dem Park von Prangins. Über Nyon bestieg er allein auf vorher ausgekundschafteten Wegen den französischen Jura und passierte bei Pays de Gex die Grenze. Dort wartete auf ihn ein Auto, das ihn nach Straßburg zum Nachtzug brachte, wo ihn sein Schwager, Prinz Xavier, erwartete, mit zwei Pässen versah und nach Wien begleitete. Niemand und nichts hatte den Kaiser, der , so Oberst Strutt, steinhart zur Restauration entschlossen war, davon abbringen können. Und großartig verhielt sich vice versa seine Gemahlin. Nach Bekanntwerden des gescheiterten Restaurationsversuches nahm sie gegenüber den Schweizer Behörden die Mitwisserschaft bei diesem Unternehmen allein auf sich und fuhr dann nachts dem aus Ungarn zurückkehrenden Gemahl zum Empfang nach Buchs entgegen. Ähnlich heroisch waren Kaiser und Kaiserin vor dem zweiten Restaurationsversuch, als sie die Kinder in der Schweiz im Glauben zurück ließen, die Eltern wären nach Einsiedeln zur Feier des Hochzeitstages gefahren.

Kaiser Karls Tagebücher aus Madeira zeigen ihn als sehr disziplinierten, naturwissenschaftlich, geographisch und botanisch höchst interessierten Mann, offen für alles Neue, äußerst mitfühlend mit den Leidenden, fähig zur großen Perspektive und zum großräumigen Sehen, von unaufdringlicher Frömmigkeit. Ganz dem Willen Gottes ergeben, war er innerlich ohne Rebellion, (nur nicht murren!), ohne Klage über die Situation in Madeira, ohne Selbstvorwürfe oder Ressentiments, das eigene Schicksal gegenüber den Problemen anderer immer relativierend. Er lebte bis zum Schluß aus dem Bewußtsein seiner Aufgabe und Sendung für die er alles, wirklich alles einsetzte. Seine Kronen waren nicht käuflich, das bekam natürlich auch seine Familie zu spüren.

Wenn man nach seinenVersuchen, die österreichische Apokalypse aufzuhalten, fragt  und damit nach den Ursachen, warum sein Bild so entstellt überliefert wurde, muß man zuerst das Erbebetrachten, das ihmKaiser Franz Joseph ohne ein Wort überlassen hatte. Es war in sehr schlechtem Zustand, vom Krieg gezeichnet, politisch und wirtschaftlich zum Teil desolat. Die Bevölkerung hatte sich zunehmend den Nationalismen, Deutschnationalismus und Panslawismus; dem Liberalsimus und Sozialismus geöffnet, sie strebte auseinander.

Die allerhöchste Familiemit den Erzherzögen Friedrich (Armeeoberkommandierender) und Joseph tendierten durch ihre Gemahlinnen Isabella von Croy und Auguste von Bayern, nach Deutschland, aber auch der Bruder des Kaisers, Eh Max, vermählt mit Franziska von Hohenlohe. Sie betrachteten den jungen Kaiser Karl, der eine bourbonische Prinzessin zur Frau hatte, abschätzig distanziert und benahmen sich reserviert. Erzherzog Eugen hielt sich, so gut es ging, heraus.

Der Adel war bereits an Kaiser Wilhelm II. orientiert. Die Jahrzehnte lange Propaganda für das deutsch–österreichische Bündnis trug ihre Früchte, Kaiser Wilhelm verfügte über genügend mit ihm verwandte Bewunderer und Vertraute in Österreich (wie Gottfried Hohenlohe, Max Egon Fürstenberg, Herbert Herberstein, Ottokar Czernin), die ihn informierten.

Die erste Gesellschaft, meist nur noch konventionell katholisch, liberal und deutsch–national, kritisierte den jungen ” Klerikalen”, sie registrierte das Nichthabsburgische an ihm, seine Bindung an die “bigotte” Familie Bourbon von Parma, seine Hinwendung zum Papst, die einfache Repräsentation, das Zurückdrängen des Zeremoniells im Krieg, den Arbeits –und Lebensstil, der Tempo ins Geschäft brachte und sich unvoreingenommen der technischen Errungenschaften bediente.

Intelligenz und Bürgertum waren vom Liberalismus erfaßt, die Presse in den Händen von Juden und Freimaurern. Soldaten und Arbeiter nahmen Partei für die Sozialdemokratie, die, wie Pacelli damals schrieb, das Habsburgerreich zu zerstören trachtete. Die Katholiken belastete die Spannung von Adel und Bürgertum, der Klerus stellte die nationale Frage über die Religion, die Bischöfe litten am Trauma des josephinischen Staatskirchentums. Die Dynastietreue der Bauern war durch die Kriegsereignisse dezimiert.

Mit dem Tod des alten Kaisers waren die Verschleißerscheinungen des Patriotismus ans Licht gekommen, die Lockerung des Bandes, das die Nationalitäten zusammenhielt. Jede Nationalität suchte im Übergang zur neuen Herrschaft die eigenen vermeintlichen Vorteile und die Kraftprobe. Alle drängten nach Nationalarmeen, nach mehr oder weniger unabhängigen Nationalstaaten und nach der Beschränkung der Herrscherrechte. Die Ungarn versicherten sich sofort des Königs mit der Krönung. Er beschwor damit die dualistische Verfassung, obwohl sein Konzept die Förderalisierung der alten Monarchie, ihre Umformung in eine Donaukonföderation vorsah. Die magyarischen Oligarchen, die als Drittelmehrheit die gesamte Bevölkerung repräsentierten, beharrten auf dem status quo, um Wahlreform und die Lösung des ungarischen Nationalitätenproblems (Kroaten, Südslawen, Polen, Ruthenen, Rumänen) zu blockieren.

In Cisleithanien (Kaisertum Österreich), betraf das Nationalitätenproblem Nord- und Südslawen. Beim Regierungsantritt des jungen Kaisers vereinigten sich sofort sämtliche Gruppen und Couleurs der böhmischen Abgeordneten zu einer einzigen Fraktion (im Cesky svaz) und öffneten sich den Exiltschechen, die international und propagandistisch genial für einen von Österreich getrennten tschechischen Nationalstaat agitierten. Noch gab es Gruppen von Böhmen und Tschechen, die ein selbständiges Reich der heiligen Wenzelskrone unter den Habsburgern befürworteten, andere riefen schon nach der Republik. Die Südslawen forderten einen eigenen Nationalstaat unter der Herrschaft der Habsburger, das Problem war kaum lösbar, nachdem Kroatien, Slawonien, Bosnien und Herzegowina zum Reich der heiligen Stephanskrone, die Slowenen Krains und der Untersteiermark sowie Dalmatien zum österreichischen Kaisertum gehörten.

Die Frage einer neuen Landesordnung für Böhmen sollten nach dem Wunsch der Deutschösterreicher im Oktroi gelöst werden, bevor der Reichsrat wieder zusammentrat, die Tschechen orientierten sich nach Rußland wie zu den Ententemächten, die Deutschböhmen an den Rändern Böhmens nach dem deutschen Reich.

Ähnlich schwierig wardie außenpolitische Situation. Es standdie Russische Revolution vor der Tür. Die Mächte der Entente lehnten das Friedensangebot der Zentralmächte vom 12. Dezember 1916 ab und nahmen die Forderungen der Exiltschechen in ihr Kriegszielprogramm auf. Daraufhin setzte die deutsche Oberste Heeresleitung ihr Programm nach einem verschärften Unterseebootkrieg durch, der Kriegseintritt Amerikas (USA) folgte. Österreich war so an Deutschland gebunden, daß es keinen Sonderfrieden sondern nur gemeinsam mit Deutschland Frieden schließen konnte. Im übrigen hatte Kaiser Franz Joseph durch die Übertragung des gemeinsamen Oberbefehls an Kaiser Wilhelm bereits Souveränitätsrechte abgegeben und Kaiser Karl vermochte keine wirkliche Revision dieser Vereinbarung zu erreichen. Deutschland zahlte Österreich–Ungarn monatlich 100 Millionen Mark für den Krieg und schoß ihm die Zahlungen an die verbündeten Mächte Bulgarien und Türkei vor. Dementsprechend fordernd und überheblich war seine Einstellung zum Verbündeten.

Im Lager der Entente erwartete man sich vom Kriegseintritt der USA die Entlastung des Westfront und die Verschiebung des militärischen Gleichgewichts. Schließlich fand im Jänner 1917 in Paris ein Freimaurerkongreß aller Oboedienzen (englische, französische, schottische) aus den Ländern der Entente und der neutralen Staaten statt. Alle Freimaureroboedienzen wollten die Kriegsziele der Entente unterstützen. Nach der Krönung Karls IV. zum König von Ungarn beschlossen sie, den Krieg gegen das göttliche Recht der Könige und für die Demokratie fortzusetzen und keinen “unreifen” Frieden zuzulassen. Sie prägten damit dem Ersten Weltkrieg ihre ideologischen Konzepte auf und luden die Massonerien der Entente und der neutralen Länder für 28.–30. Juni 1917 zu einem internationalen Kongreß nach Paris ein. (Das Freimaurerlexikon Lennhoff–Posner nennt dazu den 28. Juni, als symbolisches Datum, das Todesdatum von Eh Franz Ferdinand.)

Vis a vis dieser militärisch–politischen Ausgangslage war es Kaiser Karl längst klar, daß er, um das Erbe zu retten, ehestens Frieden schließen und die Doppelmonarchie in eine Donaukonföderation umwandeln müßte.

Die Friedensbemühungen des Kaisers waren von seinem Schwager, Sixtus, angeregt. Er hatte vor dem Kriegseintritt Italiens im März 1915 Papst Benedikt XV. in Rom besucht. Über den Vatikan sandte er seiner Schwester Zita einen bedeutungsvollen Brief mit dem Rat, Österreich möge das deutsche Bündnis lösen und mit Hilfe des Papstes Frieden schließen. Der Thronfolger konnte damals wenig machen, obwohl Kaiser Franz Joseph und der Heilige Stuhl alles unternahmen, um den Kriegseintritt Italiens, für den die Freimaurer im großen Stil agitierten, zu verhindern.

Nun war Kaiser Karl an der Macht. Sein Friedensprogramm von 1916/17 sah vor, mit dem Papst zum Ausgleich mit Italien zu kommen, über den Schwager Sixtus, den Frieden mit Frankreich und England zu vermitteln, um den allgemeinen Friedensschluß vorzubereiten.. Nicht im Krieg sondern nach dem Friedensschluß sollte Österreich – Ungarn als Donaukonföderation mit autonomen Nationalstaaten zum friedlichen Zentrum Mitteleuropas werden, an dessen Grenzen sich Deutschnationalismus und Bolschewismus brachen. Im Verlauf der Ereignisse, vor allem durch die deutsche Sabotage des Friedens, drängte sich Kaiser Karl die Idee einer Restauration des Heiligen Römischen Reiches und die Auflösung des deutschen Nationalstaates auf . Hierin findet sich die alte Vorstellung von Österreich als Herz und Schild des Heiligen Römischen Reiches wieder. Interessanterweise verbreitete die Ligue antimassonique im Kampf gegen die Freimaurer von Paris aus dieses Konzept.

Der innere Zusammenbruch Rußlands schien Österreich–Ungarn die Möglichkeit zu bieten, mit England und Frankreich, die keine territorialen Ansprüche an die Habsburgermonarchie stellten, den Frieden auszuhandeln. Man mußte eigentlich nur mit Italien klar kommen und moderate Lösungen für Polen, Rumänien und den Balkan finden. Dazu brauchte Kaiser Karl einen hervorragenden Außenminister. Baron Stephan Burián, als Ungar im Einflußbereich Tiszas, schien ihm dafür ungeeignet. Der von ihm bestellte neue Außenminister Gf Ottokar Czernin–Chudenitz, ein böhmischer Herr mit Ahnen aus dem mittelalterlichen Königsgeschlecht der Premysliden, war zwar für den Frieden, aber kein wirklich ausgebildeter Diplomat. Er wollte nur zusammen mit Konrad Hohenlohe, der ihn in den Sattel gehoben hatte, der Mentor des Kaisers sein, “dem armen, kleinen Kaiser helfen”, und selbst regieren. Was aber mit Kaiser Karl nicht ging. Seinen eigentlichen Aufgaben, der Antipropaganda der tschechischen Exilregierung den Wind aus den Segeln zu nehmen, Deutschland vom Unterseebootkrieg abzuhalten und den schleunigsten Friedensschluß herbeiführen, war Czernin nicht gewachsen. Und was seine Rolle bei dem Friedensversuch des Prinzen Sixtus betrifft, war er nur darauf bedacht, sich zu schützen und den Kaiser in eine verfängliche Lage zu bringen. Ging alles gut, war es auch gut für ihn, ging es schlecht, so hatte er die von der Verfassung vorgeschriebene Gegenzeichnung des Kaiserbriefes verzögert und sie dann wenig brauchbar gemacht, hatte er eben nichts davon gewußt, wie sein Bruder Otto zu Protokoll gab..

Der Generalstabschef Conrad Hötzendorf, hatte den Deutschen die österreichische Teilnahme am Unterseebootkrieg zugesagt, das diesbezügliche Votum im Kronrat herbeigeführt und damit den Kaiser überstimmt. Die Möglichkeit, damals sich von Deutschland zu trennen, blockiert. Conrad wurde ausgetauscht, was er nicht verkraftete und wofür er sich nach dem Kriegsende dementsprechend rächte.

Wenn wir die Hauptereignisse von 1917 Revue passieren lassen, so stehen politisch der Friedensversuch durch Prinz Sixtus, der päpstliche Friedensappell vom 1. August, an dem Kaiser Karl mitgearbeitet hatte, der Zusammenbruch des Zarenreiches und der Kriegseintritt der USA im Mittelpunkt. Die Zeit, als die Mutter Gottes von Mai bis Oktober den Hirtenkindern in Fatima erschien, war von unzähligen privaten offiziösen, und öffentlichen Friedensbemühungen erfüllt. Nachdem Masaryk in Genf den tschechischen Nationalstaat proklamiert und in den russischen Kriegsgefangenenlagern die Tschechische Legion als Nationalarmee errichtet hatte, drängte die Situation in Böhmen zur Amnestie der politisch Gefangenen vom 2. Juli 1917. Kaiser Karl wollte damit versuchen, den inneren Frieden in der Gesamtmonarchie anzubahnen und die Donaukonföderation vorzubereiten. Obwohl nicht allein Tschechen amnestiert wurden, reagierten die Deutschböhmen empört, die Tschechen selbst blieben kalt.

Der Friedensversuch des Prinzen Sixtus verlief im Sand, blockiert vom italienischen Außenminister Sonnino und dem französischen Ministerpräsidenten und Außenminister Ribot, beide waren Freimaurer. Auch Kaiser Wilhelm II. reagierte negativ auf die österreichische Friedensvermittlung. Die dynastische Rivalität von Hohenzollern und Habsburgern, angeblich längst überwunden, stieg in ihm auf und verschloß ihn der Vernunft: Österreich dürfte nicht Friedensvermittler und Friedensbringer sein, eine Haltung, die Deutschland bis zum Kriegsende einnahm!

Der päpstliche Friedensappell, von Eugenio Pacelli in Deutschland diplomatisch exzellent vorbereitet,. verhallte ins Leere. Denn weder die Entente noch Deutschland wollten den Friede wirklich, obwohl es in jedem Land große Gruppen Friedenswilliger gab.

Die Staaten der Entente wurde vom Freimaurerkongreß in Paris ( 28.–30. Juni 1917) gelenkt, der sie auf den Kampf der Demokratie gegen die Autokratie des Gottesgnadentums festlegte, auf Konzepte der Liga der Nationen und der europäischen Einigung, auf die Nationalstaatenbildung wie auf die Zerteilung des multinationalen Österreich–Ungarn.

Kaiser Wilhelm II. war schon dem Wahn der militärischen Ersatzkaiser Hindenburg und Ludendorff erlegen, die nach dem Zusammenbruch des Zarenreiches die Grenzen Deutschlands weit nach dem Osten verlegen wollten. Sie waren absolut nicht bereit, über eine Abtretung oder Autonomieregelung für Gebiete der Schwerindustrie im Westen und über Elsaß–Lothringen zu diskutieren Es blieb nur die militärische Kriegsentscheidung, die mit der XII. Isonzoschlacht vom 24.- 30. Oktober, bei der die Zentralmächte siegreich waren, scheinbar erfolgte. Doch Italien, wollte die Niederlage nicht hinnehmen. Es  stimulierte die USA, an Österreich–Ungarn, das sie bis jetzt verschont hatten, den Krieg zu erklären.

Die Friedensbemühungen Kaiser Karls liefen trotz und neben den Isonzoschlachten durch den ganzen Herbst 1917. Um Weihnachten 1917/18 startete der Kaiser selbst einen neuerlichen Friedensversuch. Er wollte wieder über Papst Benedikt XV und Pacelli die italienische Frühjahrsoffenive vermeiden und nahm ohne Wissen Czernins über den Völkerrechtsprofessor Heinrich Lammasch Geheimgespräche mit den USA in Genf auf.

Das Verhältnis des Kaisers zu Czernin, der um die Jahreswende 1917/18 die Friedensverhandlungen mit Rußland führte, war seit September merklich abgekühlt. Obwohl Czernin und der österreichische Botschafter in Berlin, Gottfried Hohenlohe, am 16. August 1917 mit dem Goldenen Vlies ausgezeichnet und damit streng an die Dynastie gebunden worden waren, entschlossen sich die beiden, die politische Linie des Kaisers zu verlassen und die Anschlußpolitik Deutschlands mitzumachen. Czernin erzwang die Absetzung des Kabinettsdirektors Polzer – Hoditz, des glühenden Verfechters der Donaukonföderation und begann den Kaiser durch einen eigenen Vertreter, Graf August Demblin,  zu überwachen. Es stellt sich die Frage, warum Kaiser Karl, der von Czernins unloyaler Kritik über die Amnestie informiert war, den Minister nicht entließ. Vermutlich, weil er die Geheimdiplomatie, an der Czernin beteiligt war, nicht gefährden wollte.

Die Verunstaltung des Bildes von Kaiser Karl und Kaiserin Zita und damit die Zerstörung der österreichischen Identifikationsfiguren brachte das Jahr 1918.

Vor und während der Friedensschlüsse im Osten, mit der Ukraine, mit Rußland und  Rumänien, bei deren Verhandlungen Czernin mehr oder minder im Fahrwasser des deutschen Außenministers Richard von Kühlmann agierte, brachen in Österreich–Ungarn Streiks, Hungerkrawalle, bei der Flotte in Cattaro die Meuterei und bei der Polen in Galizien Unruhen und Revolutionen aus. Man demontierte die Doppeladler oder bewarf sie mit Steinen. Deutschland, dessen nicht zu bremsende Militärpolitik den Bundesgenossen zunehmend motivierte, das Bündnis zu lösen, fürchtete gleichzeitig den negativen Kriegsausgang und diskutierte intern schon den Anschluß Österreichs–Ungarns. Um Czernin bei der Stange zu halten entdeckte ihm Kühlmann die von Kaiser Karl entrierten und durchaus nicht hoffnungslosen Friedensgespräche mit den USA, von denen der Minister nichts wußte. Darin liegt wohl das Hauptmotiv zu seinen staatsstreichartigen Unternehmungen gegen das Kaiserpaar, die den Namen Sixtus–oder Clemenceau–Affaire tragen.

Ich verzichte auf die Details, nur so viel: Am Osterdienstag, den 2. April 1918 hielt Czernin vor dem Wiener Gemeinderat eine lange und provokante Rede. Offiziell um über die politische Situation und über die Ernährungslage zu informieren, die Friedensschlüsse von Brest Litowsk und die deutsche Siegfriedenspolitik vor der bevorstehenden Frühjahrsoffensive zu verteidigen und den Abbruch der letzten geheimen Friedensgespräche mit Frankreich, England und den USA zu motivieren. Faktisch aber, um seine bei den Polen verlorene Popularität wieder zu gewinnen, den zeitweiligen Regierungsverzicht des Kaisers zu erpressen und selbst hinter einem Regenten ( er dachte an einen der Erzherzöge Eugen oder Friedrich) als Kanzler den Anschluß Österreich–Ungarns an Deutschland zu vollziehen. Czernin zieh Clemenceau der Friedensunwilligkeit und machte ihn für die Fortsetzung des Krieges verantwortlich. Aus dieser öffentlichen Rede entwickelte sich ein Pressekrieg. Schließlich publizierte Clemenceau das Autograph des ersten Sixtusbriefes, brach damit das französische Ehrenwort und brandmarkte Czernin als Lügner. Diese sogenannte mediale Auseinandersetzung beeindruckte nicht die Regierungen sondern die öffentliche Meinung. Man stellte Kaiser Karl als Verräter am deutschen Bündnis hin, der angeblich ohne Wissen Deutschlands geheime Friedenskontakte mit der Entente geknüpft hätte. Damit manipulierte Czernin das kollektive Bewußtsein und erzeugte die österreichische Identitätskrise. Der Minister erpreßte vom Kaiser das Ehrenwort, keinen Staatsbrief, sondern nur einen Privatbrief an Sixtus geschrieben zu haben, von dem der Minister angeblich nichts wußte. Damit entlastete er scheinbar den Kaiser vom Verfassungsbruch und entschuldigte ihn mit geistiger Inferiorität, Vergeßlichkeit und Unzurechnungsfähigkeit. Czernin drohte, Selbstmord zu begehen, um den Kaiser zum zeitweiligen Regierungsverzicht zu bestimmen und um hinter einem erzherzoglichen Regenten als Strohmann den Anschluß an Deutschland zu vollziehen. Danach könnte Kaiser Karl von seiner Therapie aus der Einsamkeit eines Schlosses zurückkehren und dürfte wieder regieren. Czernins Plan mißlang, der Kaiser, bis zum Herzkrampf von dieser Attacke des Vliesritters irritiert, behauptete seine Macht und entließ den Außenminister

Die politische Logik dieser Affaire forderte die Annäherung Österreich–Ungarns an Deutschland, das nun Militärkonvention und Wirtschaftsunion vorbereitete, wozu jetzt Kaiser Karl und der neue und ehemalige Außenminister Burián mit diplomatischen Tricks scheinbar zustimmten.

Die Folgen der Sixtusaffaire waren furchtbar: in Österreich schlug die Stimmung zugunsten Deutschlands um. Fronten und Hinterland öffneten sich dem Propagandakrieg, es kursierten die Topoi zur Zerstörung der Identitäts–oder Leitfiguren, die der amerikanische Geheimdienst auch noch heute einsetzt. Die Führungsfigur wird menschlich und moralisch unakzeptabel gemacht, in unserem Fall bricht der Kaiser die Ehe, trinkt, ist zu weich, nicht urteilsfähig, entschlußlos, von seiner Gattin beherrscht, ihr hörig und regierungsunfähig. Er amüsiert sich mit Tänzerinnen, ist feige, lügt und er ist ein Verräter.

Parallel dazu ging ein ähnlicher Propagandakrieg von den “Unterdrückten Völkern Österreich–Ungarns”aus. Exiltschechen und Exilsüdslawen, hatten mit italienischem Beistand im Jänner 1918 eine propagandistische Plattform für die Zerstörung des Habsburgerstaates in London gegründet.. Man startete, als England einen letzten und nicht aussichtslosen Friedensversuch mit Österreich–Ungarn unternommen hatte. Ein bei der Sicherung der Ostgrenzen bewährtes Österreich, in eine große Donaukonföderation umgewandelt, sollte unter britischem Patronat, fortbestehen und erweitert werden. Die politische Umsetzung der diesbezüglichen Gespräche scheiterte an britischen Freimaurern und Freunden von Masaryk und Beneš, die für “das Neue Europa” und seine Nationalstaatenbildung arbeiteten, gleichermaßen wie an Czernin.

In Konsequenz der Sixtus–Clemenceau Affaire stellte Amerika seit Ende April 1918 seine Politik gegenüber Österreich–Ungarn um: Außenminister Lansing motivierte Wilson, das Habsburgerreich (“the Patchwork”) in seine nationalen Bestandteile aufzulösen. Die USA interessierten sich jetzt für die Beschlüsse des Kongreß von Rom, den die “Unterdrückten Völkern” und in besonderer Antithese zum Papst.[vi] veranstaltet hatten. Die USA machten ihre europäische Kriegsbeteiligung und die Anerkennung der slawischen Exilregierungen von der Wirkung des Propagandakrieges abhängig. Der Monarchenvertrag von Spa vom 12.Mai 1918 schien zu bestätigen, daß sich Kaiser Karl den Hohenzollern ausgeliefert hatte, was die Exiltschechen immer behaupteten. Kaiser Karl hätte sein Erstgeburtsrecht verloren, er verdiente es, bestraft zu werden und seine Kronen zu verlieren. Noch wartete man die Piaveschlacht vom Juni 1918 ab. Die österreichische Niederlage und die Truppenverschiebung von 6 k.u.k. Regimentern nach dem Westen, um deutsche Lebensmittelhilfe zu bekommen, legalisierte den Entschluß Wilsons zur Ausbreitung der Französischen Revolution über die Bühne der Welt, zur Trennung der feindlichen Völker von ihren Regierungen, zur Einführung der Demokratie. Er verkündete das am 4. Juli 1918 in Mont Vernon am Grab Washingtons, als er dessen Geist beschwor. Von nun an war kein Friedensgespräch mehr möglich, auch wenn Kaiser Karl es im August, September und Oktober wiederholt versuchte. Nun dominierten auf der Seite der Entente die Waffen und Soldaten Amerikas, im Westen, im Südosten und im Süden, bis über das Waffenstillstandsgesuch vom 4. (7. ) Oktober hinaus.

Die Konzepte der Donaukonföderation bewegten den Kaiser nach wie vor. Von Papst Benedikt XV. zum Völkermanifest vom 16. Oktober 1918 ermutigt, erzielte auch dieser kaiserliche Erlaß das Gegenteil seiner Absicht. Anstatt zum Bund freier Völker innerhalb der Donaumonarchie zu führen, brachte es die Auflösung. In Eckartsau, in der Schweiz und in Madeira arbeitete der des Landes verwiesene und dethronisierte Kaiser und König an der Verfassung eines neuen Österreichs, für das er litt und sich opferte, das ihn bis in die Agonie begleitete, was sein Nachlaß überliefert.

 

[i] (Kaiserin und Königin Zita von Österreich an den ehemaligen k.k. ungarischen Außenminister Dr.Gustav Gratz, Funchal, Mai 1922.) in: Erwin Matsch, Sechs Außenminister, die aus dem alten Österreich kamen: Archiv für Kulturgeschichte 64 (1982) 186. Zur Diskussion um das Bild des letzten österreichischen Kaisers zuletzt: Joachim Lilla, Das Bild zeitgenössischer Schriftsteller von Kaiser Karl I. von Österreich, König von Ungarn usw.: ÖGL 45 (2001)122-133

[ii] Plaschka Richard G./Haselsteiner Horst/Suppan Arnold, Innere Front, 2 Bde, München 1974.

[iii] Österreich Ungarns letzter Krieg 1914–1918, 7 Bde nebst Beilagen und Registerband, Wien 1930–1938.

[iv] Reinhold Lorenz, Kaiser Karl und der Untergang der Donaumonarchie, Graz 1959.

[v] 1: Die Österreichische Frage. Kaiser und König Karl I. (IV.) und die Neuordnung Mitteleuropas, Band 2: Politische Dokumente zu Kaiser und König Karl I. (IV.) aus internationalen Archiven.

[vi] 8.–11.April 1918