KAPITEL XII – SONDIERUNGEN FÜR DEN FRIEDEN

(FRÜHLING BIS HERBST 1917)

Am 27. August 1917 berichtete der britische Botschafter, Sir Horace Rumbold, aus Bern, über Friedenskampagnen der Zentralmächte in der Schweiz. Während die Sozialisten eine Konferenz der “Internationale” in Stockholm planten, habe die katholische Friedensbewegung im päpstlichen Friedensappell vom 1.August 1917 ihren Höhepunkt erreicht. Beide Bewegungen würden von einer intensiven Propaganda begleitet. Artikel weltbekannter Pazifisten, wie solche von Dr. Alfred Fried, überfluteten die Presse, pazifistische Literatur überschwemme den Markt. Die Zeitschrift ” Die Versöhnung” würde überall gekauft, “Paris–Genève”, das neue Organ eines Franzosen, erscheine in Genf. Obwohl eine Finanzzeitschrift, würden darin Artikel die Fortsetzung des Krieges in frage stellen. Die österreichisch–ungarische Regierung unternehme äußerste Anstrengungen, um für sich selbst eine günstige Atmosphäre zu schaffen. Verschiedene Österreicher und Ungarn aus ersten Familien besuchten die Schweiz. Sie bemühten sich um Kontakte mit ihren Feinden und machten Stimmung für die Zentralmächte, insbesondere für die Donaumonarchie. Rumbold nannte Graf Ferdinand Colloredo–Mansfeld, den Kabinettschef Czernins, der sich in Genf aufhielt und Prinz Konrad Hohenlohe-Schillingsfürst, den ersten Obersthofmeister Kaiser Karls; der in Bern abgestiegen war. Graf Skrzynski, k.u.k. Legationsrat in Bern, “wandere” entlang des Genefersees. Man erwartete in der Schweiz auch den kürzlich resignierten ungarischen Ministerpräsidenten, Graf Móric Esterházy,. Er käme “aus Gesundheitsrücksichten”. Sir Horace Rumbold wollte ihn beobachten lassen. Diese Österreicher suchten hauptsächlich Kontakt mit Franzosen.Die Neutralen betrachteten die Persönlichkeit Kaiser Karls als Positivum für die Österreichische Frage. Die Presse melde, so Sir Horace Rumbold, der junge Kaiser habe gute Absichten und liebenswürdige Qualitäten: es werde hervorgehoben, daß er nicht für Zustände verantwortlich sei, die er bei seiner Thronbesteigung übernommen hätte.
Bereits im Herbst 1916 hatte die “Stimmung für den Frieden” die Menschen überall erfaßt, in England, Frankreich, Deutschland, Österreich–Ungarn, Rußland und Italien. In den neutralen Staaten entstanden pazifistische Stützpunkte: aktive oder ehemalige Botschafter entrierten mit Zustimmung ihrer Regierungen Gespräche mit Vertretern der gegnerischen Seite, ohne “hochverräterisch ” zu sein. Ähnlich bemühten sich Wirtschafts–und Finanzleute, Universitätsprofessoren, Mitglieder des Hochadels, Damen der Gesellschaft und Königinnen. Kosmopolitisch orientiert hatten sie internationale berufliche oder verwandtschaftliche Beziehungen. Man setzte Signale für den Frieden, und suchte ihn je nach Fähigkeiten und Möglichkeiten zu vermitteln.
Nach Ausbruch der Russischen Revolution im Frühling 1917 forderten auch die Arbeiterbewegungen, den Krieg in kürzester Frist zu beenden
In Paris war der Kreis um Gräfin Ghislaine Greffulhe, der geborenen Prinzessin Caraman- Chimay ein Zentrum für den Frieden. Die Hofdame der belgischen Königin hatte in ihrem Palais die Salons geschlossen und versammelte eine internationale Gesellschaft in einer Mansarde. Wenigstens einmal in der Woche war dort die friedensgesinnte Königin der Belgier, Elisabeth, geborene Herzogin in Bayern, mit fünf oder sechs Damen zu Tisch. Auch die beiden Brüder der Kaiserin von Österreich, Sixtus und Xavier von Bourbon von Parma, gingen bei der Gräfin Greffulhe ein und aus, ebenso Sophie Clémenceau die Schwägherin von George Clémenceau. Sie wiederum war mit Paul Painlevé in engem Kontakt, der, wie andere französische Politiker, auch dort anzutreffen war. Zu diesem Friedenszirkel dürfte vermutlich auch die Comtesse Pauline de Mérode, geborene Comtesse de La Rochefoucauld, gehört haben. Die Witwe des belgischen Senators und Großhofmeisters Comte Werner de Mérode, sondierte für den Frieden im Kontakt mit Kardinal Desiré Mercier, dem Erzbischof von Mecheln. An der Seite der Gräfin stanmden die belgischen Industriellen Coppé, Evence Dieudonné und Evence Narcisse, Vater und Sohn. Sie handelten im Einverständis mit dem Leiter der politischen Abteilung beim deutschen Gouverneur in Belgien, dem Freiherrn Oskar von der Lancken–Wakenitz, einem Jugendfreund von Pauline Mérode und den sie 1917 zeitweise fast täglich traf. Von Baron Lancken liefen die Geheimkontakte mit Vorschlägen zur Wiederherstellung Belgiens und zur Lösung der Frage Elsaß–Lothringen nach Berlin. Trotz des Engagements von Vater Coppé fand das geplante Treffen des belgischen Außenministers, Charles de Broqueville, mit Lancken nicht statt. Der Belgier scheute sich, zu unabhängig von der Entente zu agieren, weshalb sich Gräfin de Mérode von Juni bis September 1917 um eine Begegnung Lanckens mit Aristide Briand bemühte. Ribot und Balfour verhinderten diese Zusammenkunft in der Schweiz (September 1917), was zum Sturz Ribots führte.
Über die Friedensouverture der Prinzen Sixtus und Xavier haben wir bereits ausführlich berichtet. Sophie Clémenceau versuchte über ihre Wiener Schwester Berta, verheiratet mit dem Anatomen Emil Zuckerkandl, Kontakte des Kriegsministers Painlevé mit Österreich–Ungarn zu vermitteln. Graf Czernin behandelte diesen Kontakt eher peripher. Die deutsche Botschaft in Bern war genau informiert und nahm ihn wesentlich ernster. Die Begegnung Painlevés mit Dr. Julius Szeps, dem Chefredakteur des Wiener Fremdenblattes, und mit dem französischen Pressechef Bernard, sollte in Genf stattfinden. Nach dem Sturz Painlevés (13.November 1917) wurde die Verbindung abgebrochen.
Ein anderer Stützpunkt für den Frieden war das Botschafterviertel in Den Haag. Zwischen Mai und Dezember 1917 kontaktierte hier der k.u.k. Gesandte Graf Ludwig Széchényi den britischen Gesandten Sir Walter Townley und den Politikwissenschaftler Lord James Bryce, Viscount of Dechmont. Diesen Kontakt hatte der holländische Außenminister Jonkheer Dr. John Loudon und der ungarische Journalist Ferdinand Leipnik hergestellt Szechényi und Townley trafen einander nie. Sie übermittelten einander nur Nachrichten und Vorschläge über Leipnik, der für den britischen Geheimdienst arbeitete.
In Den Haag residierte auch der spanische Gesandte Rodrigo Ramírez de Saavedra y Vinent, Marqués de Villalobar, ein ausgezeichneter und hochangesehener Diplomat. Er meisterte sein persönliches Schicksal als Krüppel von Geburt an–ohne Stahlprothesen konnte er nicht gehen–mit unglaublicher Vitalität und Disziplin. Ihn hatte der deutsche Außenminister von Kühlmann im September 1917 ausersehen, anstatt des Papstes die Verhandlungen Deutschlands mit England zu entrieren. Kühlmann war zu Gesprächen über die Wiederherstellung Belgiens bereit. Die Bemühungen Villalobars, der sich zur Verfügung stellte und persönlich nach Berlin fuhr, scheiterten an den diplomatischen Beziehungen Spaniens zu England und am Widerstand des spanischen Außenministers Marqués de Lema. Die Sondierungen versandeten im Dezember 1917.
Die 79-jährige Lady Walburga Paget, Witwe nach dem ehemaligen britischen Botschafter in Wien, Sir Augustus Paget, versuchte eine Friedensvermittlung über die spanische Königinmutter Maria Christina. Lady Paget hatte während ihrer Wiener Zeit (1884-1893) Erzherzogin Elisabeth, die Mutter Maria Chistinas, gut gekannt. Die geborene Sächsin und eingebürgerte Britin haßte die Preußen und wollte versuchen, Österreich–Ungarn zu retten. Neben der publizistischen Vorbereitung ihrer Mission in der Zeitschrift “The Nintheenth Century and After”, in der sie zwei Beiträge über Österreich–Ungarn herausbrachte, wandte sie sich mit einem direkten Brief befördert von einem Spezialkurier des Foreign Office an Maria Christina.. Die Königinmutter wollte sich damals nicht einmischen. Erst unmittelbar vor der Publikation des päpstlichen Friedensappells gab sie in Wien den britischen Vermittlungsversuch bekannt (30.Juli 1917), den man hier kaum ernst nahm. König Alfons XIII. war dann im September bereit, indirekte Kontakte mit England herzustellen, wollte jedoch erst konkrete Angebote abwarten. Lady Pagets zweiter Brief an Maria Christina von Spanien am 1.Oktober 1917, diesmal nur von der Post befördert, wurde von der britischen Militärzensur abgefangen, so daß ihr Versuch scheiterte.
Kopenhagen war im Ost–Westgespräch für den Frieden eine Drehscheibe. Die Zentralmächte bemühten sich in den Jahren 1914 bis 1917 mit Hilfe von Erik und Harald Scavenius, dem dänischen Außenminister und dem dänischen Botschafters in St. Petersburg, um Sonderfriedensverhandlungen mit Rußland. Erik Scavenius war auch Anlaufstelle für den deutschen Gesandten in Kopenhagen, Graf Ulrich von Brockdorff–Rantzau, der für Kühlmann Kontakte mit England entrieren sollte, wie für den Österreicher Sir Rudolf Freiherrn von Slatin Pascha.
In Stockholm sollte die Friedenskonferenz der” Sozialistischen Internationale” stattfinden. der Die “Arbeiter–Zeitung”, das Organ der deutschösterreichischen Sozialdemokraten, kündigte sie in Abständen seit dem 10.März 1917an,. Man erwartete die Eröffnung der Konferenz am15.Mai 1917. Schließlich reisten die Sozialdemokratenführer, Dr. Viktor Adler, Dr. Wilhelm Ellenbogen, Dr. Karl Renner und Dr. Karl Seitz am 22.Mai 1917 nach Schweden. Graf Czernin hatte ihnen die Pässe persönlich übergeben. Doch es fanden während des ganzen Sommers nur Vorkonferenzen statt, in denen die einzelnen Delegationen kontaktiert und schriftliche Statements von ihnen erbeten wurden. Als die Vertreter der Ententestaaten ausblieben, stagnierte die Konferenz, Am 20. August 1917 lagen Antworten aus Deutschland, Österreich–Ungarn, Ukraine, Bugarien, Türkei, Ägypten, Persien, Indien, USA, jene der Flamen und des jüdischen sozialistischen Arbeitervereins vor. Französische und englische Sozialisten hatten Memoranden eingereicht, die noch nicht publiziert waren.
Obwohl die Regierungen der Zentralmächte nach außen hin nichts gegen den Besuch der Konferenz unternahmen, suchten sie die Außenminister politisch zu blockieren, um Diskussionen der Kriegsschuldfrage; die Arbeiterunruhen befürchten ließen zu vermeiden. Am 10.Oktober 1917 verschickte das Organisationskomitee der Stockholmer Konferenz ein” Manifest an die Parteien der Internationale,” den Entwurf eines Friedensprogrammes, das vor dem 1. Dezember 1917 retourniert werden sollte. Die Sozialdemokraten aus den Ländern der Entente sollten sich energisch um ihre Pässe bemühen. Die Genossen der Zentralmächte sollten für die Errichtung eines parlamentarischen demokratischen Regimes und für die Präzisierung der Kriegsziele zu arbeiten. Alle wurden aufgerufen, ihren Kampf gegen Annexionismus und Imperialismus fortzusetzen.” Das Friedensprogramm aus Stockholm war mit den politischen Intentionen und Konzepten Kaiser Karls durchaus vereinbar. Es forderte, den Verzicht auf Annexionen und Kontributionen, die Wiederherstellung der verwüsteten Gebiete mit internationaler Hilfe, die Sicherung von nationalen Autonomien durch einen internationalen Gerichtshof, die Umwandlung von mutinationalen Staaten in Bundesstaaten, kulturelle Freiheiten für nationale Minderheiten, den Schutz der Rechte der Arbeiter und eine allgemeine Amnestie für vom Krieg verursachte Verbrechen und politische Vergehen.
Die” besonderen Bedingungen ” dieses Manifestes befaßten sich mit territorialen Lösungen, obligatorischen Schiedsgerichten, allgemeiner Abrüstung, der Aufhebung von Wirtschaftskriegen, parlamentarischer Kontrolle der auswärtige Politik und der Gründung der “Gesellschaft der Nationen” Der Ausbruch der Russischen Oktoberrevolution verhinderte die Beratungen zur Durchführung dieses Programmes.
Karl Renner, der die Abspaltung der sozialdemokratischen Parteien in Österreich–Ungarn beklagte, hatte Im Einfluß von Stockholm die Vision einer ” Internationale des Donaureiches “. Er bekannte sich damals noch zum Habsburgerstaat und propagierte Sozial–und Verfassungsreformen gegen den kriegsgewinnlerischen Kapitalismus.
Am 23.Oktober 1917definierte Viktor Adler in Wien die Aufgaben der Partei:”[..]die Arbeiter geistig und körperlich kampffähig zu machen, sie zu organisieren für den Klassenkampf, […]den Kampf gegen Ausbeutung,[…]Not und Elend[…]die Massen zu erfüllen mit ihrer geschichtlichen Mission, sie vorzubereiten für die große Zukunft, die ihrer harrt, sie entschlußfähig zu machen, auf daß sie ihr gewachsen seien. [..]
Wir kehren zum Ausgangspunkt unserer Betrachtung in die Schweiz zurück. Sie war wie kein anderer neutraler Staat Zentrum der Nachrichtenübermittlung, besucht und durchquert von Agenten, Journalisten, politisch Engagierten, Abenteurern und Spionen, immer noch eine Oase für Leib und Seele im Grauen des Krieges. Neben den Botschaften der kriegführenden und neutralen Mächte waren die katholischen Zentren von Einsiedeln, Chur und Zizers bedeutende Informationszentralen.
Auch der Salon von Donna Françoise Aldobrandini, Pricipessa di Sarsina, in der Villa Bethléem von Fribourg, war ein Stützpunkt für den Frieden. Die damals 73 jährige Fürstin, entstammte der Familie der Ducs de La Rochefoucauld. Zwei ihrer Töchter hatten Hochadelige des Habsburgerreiches, eine den Grafen Nikolaus Revertera–Salandra geheiratet: Er kam aus einer Diplomatenfamilie. Während eines Besuches in der Schweiz ersuchte ihn der Laryngologe, Dr. Henry Reymond, den Kontakt zu Kaiser Karl herzustellen: mit Frankreich könnte sofort Frieden geschlossen werden, würde Deutschland zu Konzessionen für Elsaß–Lothringen bereit sein. Frankreich wolle aus dem Bündnis der Entente austreten. Tatsächlich hatte der französische Kriegsminister Painlevé mit Zustimmung Ribots eine Sondierung durch das Zweite Büro des Generalstabschefs als Replik auf die Bemühungen des Prinzen Sixtus autorisiert Der Major Comte Abel Armand, dem Zweiten Büro zugeteilt, erschien als passende Kontaktperson , denn er war mit dem Grafen Nikolaus Revertera, einem “Freund von Kaiser Karl.” entfernt verwandt. Revertera bestätigte Raymond, daß Österreich lebhaft den Frieden wünsche und alle gerechten Ansprüche Frankreichs anerkenne. Wolle Deutschland diesen Frieden nicht akzeptieren, sei Österreich bereit, sich von seinem Verbündeten zu trennen. Die Frage, nach der Initiative zur Sondierung” Revertera–Armand ” hat inzwischen Louis-Pierre Laroche geklärt. Sie erfolgte auf Wunsch und Betreiben des Kriegsministers Painlevé. Revertera, von Czernin, der sich von der Seriosität dieser Sondierung überzeugt hatte, autorisiert, übernahm die Mission. Am 7. August begegnete er in Fribourg Armand. Unmittelbar davor hatten am 6. August auch Albert Thomas, Ribot und Lloyd George ihr Einverständnis zu dieser Sondierung gegeben. Zuerst hieß es, Frankreich wolle mit den Zentralmächten Frieden schließen, dann am 7. August, wollte es nur mit Österreich–Ungarn einen Separatfrieden verhandeln. Dieser Positionswechsel wurde von der amerikanischen Kriegspropaganda in der Schweiz und von einem Ausspruch Ludendorffs, jetzt würde man einen Verständigungsfrieden schließen, doch in zehn Jahren den Kampf wiederaufnehmen und Frankreich niederschmettern, verursacht. Armand und Revertera verhandelten mündlich, es gab kein Papier : Nach der Darstellung Reverteras formulierte Armand als französische Vorschläge:
• Die Wiederherstellung Polens in den Grenzen von 1772.
• Die Abschirmung Österreich- Ungarn durch eine Staatengruppe (mit Bayern und Polen) von Preußen.
• Die Übertragung von Preußisch–Schlesien an Österreich.
• Die Umgestaltung Österreich – Ungarn in eine Donaukonföderation.
• Die Abtretung Trients an Italien, die Bildung des Freihafens von Triest.
Die Instruktion Painlevés für Armand sah vor:
• Österreich–Ungarn ziehe sich aus dem Krieg zurück und beobachte strikte Neutralität.
• Würde die Doppelmonarchie diese Bedingungen, Trient abzutreten und Triest eventuell zum Freihafen zu erklären erfüllen, wollten England und Frankreich alle Anstrengungen unternehmen, um Polen, Bayern und Schlesien der Donaukonföderation unter dem Kaiser von Österreich einzuverleiben.
• Kaiser Karl möge in Berlin vermitteln.
Revertera konnte am 11. August Czernin nicht in Wien antreffen, deshalb meldete er sich am 12. August bei Kaiser Karl in Reichenau. Der Kaiser wies den ihm von Frankreich zugemuteten Treubruch gegenüber Deutschland zurück. “[…]Nie würde Er Sich zu Aehnlichem herbeilassen. Hingegen sei Er bereit, discutable Vorschläge der Entente, d.h. Englands und Frankreichs in Berlin vorzulegen, ja sogar zu befürworten, wenn sie Ihm gerecht erscheinen sollten.”
Am 22. August 1917 begegneten einander Revertera und Armand zum zweiten Gespräch. Czernin hatte Revertera instruiert, die Vorschläge der Entente entgegenzunehmen und die weiteren Modalitäten nach einer eventuellen Vorlage der Verhandlungspunkte in Berlin genau festzusetzen. Czernin dachte an eine Begegnung der Außenminister Frankreichs und Österreich– Ungarns in Vaduz
Armands Schriftstücke, die er Revertera in die Feder diktierte, zeigten Frankreichs Bereitschaft, einen Allgemeinen Frieden mit den Zentralmächten zu verhandeln. Der eine Text war ein längst bekannter Katalog von Friedensbedingungen in 14 Punkten mit allen Kriegszielen der Entente, der andere machte Vorschläge zur Umgestaltung der Habsburgermonarchie in eine Donaukonföderation. Als Revertera dagegen bemerkte, so hätte Napoleon nach der Schlacht bei Austerlitz sprechen können, doch jetzt stünden die Zentralmächte im Herzen Frankreichs, bemerkte Armand, man könne über Verschiedenes reden; die Wiederherstellung Belgiens und die Abtretung von Elsaß–Lothringen an Frankreich wären jedoch unverzichtbar. Revertera gewann den Eindruck “[…]es sei den Franzosen ernstlich um den Frieden zu tun.[…]” Zur Forderung, Trient und Triest an Italien abzutreten, riet Armand, mit England weiter zu verhandeln.
La “Note spécialment à l`adresse de l`Autriche- Hongrie ” enthielt Ratschläge zur Föderalisierung der Habsburgermonarchie”, zur”[…] Knüpfung eines noch nicht näher definierten Bandes mit Polen; Anspielung auf die Wiederherstellung der Vorherrschaft Österreichs in Deutschland; endlich Grenzrektifikationen zu unseren Gunsten und vor allem die Einverleibung des Lovcen in unsere Monarchie[…]” In dem Abschlußgespräch am 23. August 1917 deponierten die Franzosen, daß sie weiter nur mit einem Engländer und mit einem Österreicher verhandeln wollten. Revertera bestand auch auf einem deutschen Vertreter und auf Vaduz als Verhandlungsort. Man einigte sich auf eine Chiffre und auf Dr. Reymond als weiteren Verbindungsmann.
Die Beratungen über die französischen Propositionen zwischen Kaiser Karl, Revertera, Czernin und Hohenlohe am 27. und 28. August 1917 ergaben, daß Czernin die französischen Vorschläge noch “etwas frisieren”, sie mit den mündlichen Kommentaren Armands ergänzen und dann den Deutschen vorlegen lassen wollte. Bereits am 30. August hatte Kühlmann die von Revertera ergänzte Fassung des französischen Friedensangebotes an Österreich–Ungarn in Händen. Seine Reaktion war ganz ähnlich jener Kaiser Wilhelms II. nach der Mitteilung des “Friedensangebots der Entente,” das Bethmann Hollweg am 14. Mai 1917 von Österreich–Ungarn erhalten hatte. Es ging den Deutschen nicht in erster Linie um den Frieden, sondern ausschließlich um das Prestige des Friedensbringers, das Deutschland für sich beanspruchte. Kühlmann reiste sofort nach Wien, um mit Graf Czernin in diesem Sinne mit “absoluter Offenheit” zu reden. Czernin, der am 14. August 1917 mit der Aufkündigung des Zweibundes gedroht hatte, distanzierte sich jetzt von dem Friedensangebot Painlevés: Er wollte das Sonderfriedensangebot “a limine” ablehnen, war aber zu weiteren Verhandlungen bereit. In der Folge veränderte Graf Czernin , von dem Kaiser Karl energisches Handeln für den Frieden erwartete, unter dem Einfluß von Graf Tisza und Gottfried Hohenlohe seine politische Einstellung. Er wurde zur Schachfigur Kühlmanns, weigerte sich, die französischen Bedingungen an Berlin weiterzugeben und an einen österreichischen Separatfrieden überhaupt nur zu denken. Er berief sich auf Abrüstung und Schiedsgericht, status quo ante bellum und den möglichen Austausch von Territorien.
Als Mitte September 1917 unerwartet Nachricht von Reymond bei Revertera eintraf, war für Czernin nichts mehr zu machen . Er wollte den Friedensfaden zwar nicht abreißen lassen, verhinderte aber die Audienz Reverteras bei Kaiser Karl. Der Entwurf seiner Antwort für Armand bewegte sich auf der Linie des päpstlichen Friedensappells, den Frankreich abgelehnt hatte.
Inzwischen arbeitete das Zweite Büro des französischen Generalstabs mit dem französischen Militärattaché in Bern, General Morier, an der Fortsetzung der Gespräche mit Österreich. Man entwarf konkrete Pläne zur Lösung der “austropolnischen Frage.” Prinz Sixtus sollte für den polnischen Thron kandidieren, um die Integration Polens in die habsburgische Donaukonföderation zu erleichtern.
Czernin, der sich bei seiner politischen Wandlung dem gegensätzlichen Druck Kaiser Karls und Berlins nicht mehr gewachsen fühlte und fürchtete, das Vertrauen Kaiser Karls nicht mehr zu besitzen und bei Kaiser Wilhelm II. in Ungnade gefallen zu sein beabsichtigte zu demissionieren. Kaiser Wilhelm II. war wegen eines Interviewes, das Czernin einem Vertrauensmann des deutschen Reichstagsabgeordneten Haußmann gegeben hatte , mehr als erzürnt und drohte, die in Vorbereitung befindliche Herbstoffensive Österreich–Ungarns gegen Italien (12. Isonzoschlacht) nicht mit Truppen zu unterstützen.
In dieser Situation fragte Czernin Revertera, den Kaiser Karl während einer Reise im Hofzug ersucht hatte, weiteren Besprechungen mit Frankreich Tür und Tor offenzuhalten, ob er sein Nachfolger werden wollte. Revertera lehnte ab, und Kaiser Karl schützte Czernin vor der Ungnade des deutschen Kaisers. Revertera bedauerte damals , “[…]daß die Möglichkeit, in Berlin einen Druck auszuüben, so sehr in die Ferne gerückt sei[…]”. Er hatte das Gefühl, es wären “[…]bei einiger Nachgiebigkeit die Voraussetzungen vorhanden gewesen, um ernstliche Friedensbesprechungen einzuleiten; der Augenblick schien mir günstig, und nur an dem Starrsinne der deutschen Militärpartei sollte alles scheitern? Die Kompensationen, welche für Elsaß–Lothringen geboten wurden, waren doch gewiß keine geringfügigen: neue deutsche Provinzen, die von Rußland abzutrennen wären, die Erschließung einer nahezu unbegrenzten Interessensphäre gegen Osten, die Rückerstattung der deutschen Kolonien, welche durch wertvolle koloniale Neuerwerbungen namhaft vermehrt werden sollten–war das alles nicht eine Konzession wert, welche den alten Haß der Franzosen ein für allemal aus der Welt schaffen würde? Es gibt aber eben in Deutschland keine guten Politiker, die mit sicherem, objektivem Blick ihre Bilanz aufzustellen wissen; die Politik wird vielmehr vom Hauptquartiere beherrscht, in welchem erfolgreiche Heerführer die Macht ihrer Waffen wie die Hilfsquellen des Landes überschätzen. Meiner Überzeugung nach wäre also jetzt der Moment gekommen gewesen, um ohne Verletzung der Bundestreue in Berlin ein ernstes Wort zu sprechen, und der Kaiser schien dies ganz richtig zu empfinden.[…]”
Revertera fuhr am Nachmittag des 10.Oktobers 1917 mit Czernin vom Semmering nach Reichenau. Die Audienz in Wartholz verlief zur Beruhigung des Ministers: er demissionierte nicht, und Revertera, der sich distanziert äußerte, wurde von Kaiser Karl “[…]mit der Weisung entlassen, vorläufig nicht in die Schweiz zu fahren. […]”
Anders als Revertera und sehr unprofessionell verhielt sich der Ordonannzoffizier Oberstleutnant Wilhelm Hevesy von Heves, bei seinem persönlichen Versuch, Friedensfäden mit Frankreich zu knüpfen. Hevesy, ungarischer Herkunft, hatte 10 Jahre vor dem Krieg in Frankreich gelebt. Über den damaligen Flügeladjutanten von Kaiser und König Karl, Graf Joseph Hunyady, erklärte er sich bereit, Grundlagen für vertrauliche Kontakte mit Frankreich zu schaffen. Hunyady arrangierte für ihn eine Audienz am Vormittag des 28. Juli 1917 im Park der Villa Wartholz. Kaiser Karl fragte ihn:” Sie wollen um jeden Preis für mich Frieden machen?” Hevesy wollte seine französischen Kontakte über die Schweiz nützen und Gesprächspartner suchen. Der Kaiser wünschte Czernin vorläufig nicht von der geplanten Sondierung zu informieren, sie jedoch den österreichisch–ungarischen Gesandten in Bern, Baron Musulin, wissen lassen. Hevesy überfuhr am 2. August 1917 die Schweizer Grenze und stieß in den Gästelisten von Schweizer Hotels auf eine ihm bekannte französische Diplomatengattin, die sich in Montfleuri aufhielt. Sie war bereit, ihren Vormund, Léon Bourgois, Abgeordneter und ehemals französischen Außenminister, zu bitten, in die Schweiz zu kommen und die Nachrichten Kaiser Karls zu übernehmen. Nachdem Bourgois nicht erschien, wandte sich Hevesy an den Abgeordneten Lazare Weiller, den er kannte. Weiller war im Palasthotel in Lausanne abgestiegen. Es gelang Hevesy, ihn, der zuerst einer Begegnung auswich, in Lausanne zu sprechen. Die Unterredung dauerte am 29. August von 22 Uhr bis zum 30. August 2 Uhr morgens und wurde mit einem schriftlichen Protokoll Hevesys abgeschlossen. Er schrieb es selbst und ersuchte, es nach der Überbringung zu vernichten.
Man sprach über die Abtretung von Trient, über eine Möglichkeit sich mit Italien über Triest auszugleichen, über die Rekonstruktion Serbiens und von der Bereitschaft Österreich– Ungarns, sich darüber mit Bulgarien zu verständigen. Selbst im Fall von Rumänien würde Kaiser Karl Grenzrektifikationen in Siebenbürgen zugestehen.
Als Kompensation würde Kaiser Karl an die Rekonstruktion des Königreiches Polen unter österreichischem Protektorat denken. Würde Österreich–Ungarn das deutsche Bündnis lösen, sei der Sieg der Alliierten gesichert.
In diesem “Nachtgespräch proponierte Hevesy “einen” coup de théâtre “: Frankreich möge, um ihn nicht durch militärische Vorbereitungen zu gefährden, mit seinen Alliierten einen sehr kurzen Waffenstillstand von zwei bis fünf Tagen vereinbaren,. Vor dem Waffenstillstandsangebot sollte Österreich–Ungarn in einem “mündlichen Protokoll” feststellen, daß es den Frieden und keine Fortsetzung des Krieges wünsche, um die Krone der Hohenzollern zu retten. Anschließend seien Konzessionen und Kompensationen anzuführen. Nach dem Waffenstillstand sei dieses Protokoll zu veröffentlichen. In Bayern, wo sich die Dynastie den Hohenzollern unterordnen müsse, hätte es eine große Wirkung, damit wäre der “Prussianismus” am Ende. Zu diesem Zweck müßte Kaiser Karl eine Vertrauenspersonen unter freiem Geleit nach Dijon schicken können. Hevesy nannte mehrere prominente Namen.
Weiller war auf dem Weg nach Paris. Er versprach, Ribot und Bourgois mündlich zu unterrichten. Nach Hevesy hatte Weiller sein Versprechen gebrochen und nur Ribot, aber nicht Leon Bourgois informiert. Ribot weigerte sich, über einen Vorschlag, der vom Herrscher Österreich–Ungarns käme, zu diskutieren . Diese Aussage ist stichhältig: aus dem Brief von Lord Robert Cecil an Pichon am 24. Jänner 1918 geht hervor, daß Ribot von diesem österreichischen Angebot weder seinen Alliierten unterrichtet, noch darauf reagiert hatte. Hevesys Versuch war gescheitert. Über Hunyady ersuchte er Kaiser Karl, Baron Slatin mit einer Friedenssondierung für England zu betrauen.
Baron Slatin reiste dann um den 10.Oktober 1917 als Vertreter des Wiener Roten Kreuzes nach England und Dänemark. Bei den Engländern seit seiner abenteuerlichen Zeit im Sudan hoch angesehen, bemühte er sich vergeblich, über Sir Ralph Paget in Kopenhagen Gespräche einzuleiten. Hevesy und Slatin kehrten gemeinsam und sehr bedrückt am 19. Dezember 1917 nach Wien zurück.
Sämtliche Friedenssondierungen, die von der Russischen Februarrevolution stimuliert waren, verebbten im Herbst 1917. Gesprächsbereitschaft und Tendenzen, den Krieg bis zum entscheidenden Ende fortzusetzen, wechselten miteinander ab. Wir erkennen sie in Zusammenhängen mit den verschiedenen französischen Regierungsumbildungen. Poincaré, Präsident der Französischen Republik von 1913–1920, erschien friedenswillig, auch Aristide Briand (französischer Ministerpräsident vom 29.10. 1915 – 17.3.1917). Sein Nachfolger, Alexandre Ribot (Ministerpräsident und Außenminister vom 20.3.1917-7.9.1917) blockierte als Instrument der französischen Logen alle Bemühungen. Sein Nachfolger Paul Painlevé (französischer Ministerpräsident und Kriegsminister vom 12.9.-13.11.1917), ein moderater Freimaurer und nicht “austrophob”, war, trotz der Aufnahme der Tschechischen Legion in die französische Armee (August 1917), friedenswillig. George Clémenceau schließlich (Ministerpräsident und Kriegsminister vom 17.11.1917-18.1.1920), Mitglied des Grand Orient de France, war ganz ablehnend. Diese Regierungswechsel markierten auch Strömungen innerhalb der Bevölkerung Frankreichs, die ” austrophil” oder “austrophob” reagierte.
Der britische Premierminister David Lloyd George, der dem Frieden die Tore öffnen wollte, stand militärischen Strömungen gegenüber, welche die Fortsetzung des Krieges gegen die Zentralmächte auch unter enormen Opfern forderten. Damals arbeitete man in England schon länger an historischen und demographischen Studien über Mitteleuropa, um es durch künftige Friedensverträge neu zu organisieren.
Diese Strömungen für und gegen den Krieg sind auch in Italien und Deutschland zu registrieren. Unter der Ägide Sonninos setzten sich die Massonen, die den Nationalstaat vergrößern und die Einigung Italiens vervollständigen wollten, durch. In Deutschland waren es die Alldeutschen sowie Hindenburg und Ludendorff, die jeden Verständigungsfrieden ablehnten und die Neuordnung Europas und der Welt mit einem Siegfrieden diktieren wollten. Verblendet verkannten sei die politischen Tendenzen und militärisch–wirtschaftlichen Kapazitäten der USA wie die ideologische und politische Kraft des Bolschewismus.