(Jänner bis März 1917)
Am 29. Jänner 1917 begegnete Prinz Sixtus seiner Mutter, Herzogin Maria Antonia, und seiner Schwester, Prinzessin Maria Antonia, in Neuchâtel (Schweiz). Man traf sich streng incognito im Haus von Maurice Boy de la Tour, rue de Pommier 7.[i] Der Prinz hatte seine Mutter seit Kriegsausbruch nicht gesehen. Im November 1914 als er, nach einem schweren Autounfall in Lebensgefahr schwebte, verbot man ihr, in die militärische Zone von Calais einzureisen. Sobald Sixtus transportfähig war, brachte ihn sein Bruder Xavier zur Erholung nach Italien, in die Villa Pianore.[ii]
Kurz danach (Jänner 1915) wandte sich Sixtus an Papst Benedikt XV. mit der Bitte um Audienz. Gleichzeitig verfaßte er einen bedeutsamen politischen Brief an seine Schwester, Erzherzogin Zita und erreichte damit das österreichisch–ungarische Thronfolgerpaar über den Vatikan.[iii]
Sixtus war der älteste Sohn aus der zweiten Ehe von Herzog Robert von Bourbon von Parma mit Maria Antonia, geborener Infantin von Portugal aus dem Haus Braganza. Er und Xavier waren sich nach dem Tod des letzten legitimen französischen Bourbonenkönigs, des Grafen Heinrich von Chambord (Heinrich V.), ihrer dynastischen Herkunft und Verpflichtung sehr bewußt. Beide wurden im berühmten Jesuiteninternat Stella Matutina (Feldkirch, Vorarlberg) erzogen und legten dort die Matura ab. Nach dem Tod Herzog Roberts (1907) mußte Prinz Sixtus die französischen Güter seiner Familie verwalten und begann erst 1909 politische Wissenschaften in Paris an der Sorbonne zu studieren. 1914 erwarb er ein Doctorat d `Etat.[iv] Seine Dissertation[v] beschäftigt sich mit dem Vertrag von Utrecht(1714), als Habsburg und Bourbon unter englischem Druck das spanische Erbe teilten.[vi]
Von Februar bis Juni 1912 hatte er sich dem Professor für Biblische Hilfswissenschaften und der arabischen Sprache an der Wiener Theologischen Fakultät, Alois Musil, bei einer Reise in den Vorderen Orient angeschlossen. Die Reise diente der karthographischen Aufnahme Mesopotamiens, dem Studium der christlichen Archäologie in römisch – byzantinischer Zeit, astronomischen Studien und Erkundungen zur historischen Geographie. Man startete in Damaskus, fuhr in das Zweistromland und in Gebiete, in denen das verlorene Paradies vermutet wird.
Hatte Musil höchste wissenschaftliche Ambitionen, beobachtete Prinz Sixtus Land und Leute unter kultur–und wirtschaftspolitischen Gesichtspunkten. Der Zerfall des Osmanischen Reiches, sein Rückzug von der Balkanhalbinsel und von großen Teilen des Vorderen Orients riefen politische Interessen in Deutschland, Österreich–Ungarn, Italien, Rußland, England und Frankreich wach. Es waren Krisenherde, die den Ersten Weltkrieg auslösten. [vii]
Im Jänner 1913 hielt Prinz Sixtus in der Wiener k.u.k. Geographischen Gesellschaft einen Vortrag über seine Expedition.[viii] 1914 plante er gemeinsam mit Xavier, nach Indien zu fahren, was der Ausbruch des Ersten Weltkrieges verhinderte.
Die Familie Bourbon von Parma, seit der Mitte des 19. Jahrhunderts in Schloß Schwarzau im österreichischen Exil, war in ihren patriotischen Tendenzen bei Kriegsausbruch gespalten. Sixtus und Xavier ersuchten Kaiser Franz Joseph, ihre Ausreise nach Frankreich zu erlauben. Vom französischen Militär als Royalisten abgelehnt, leisteten sie in Belgien beim Roten Kreuz und bei der Artillerie Kriegsdienste.[ix] Ihre Brüder Elias, Felix und René traten in die österreichisch–ungarische Armee ein.[x] Im März 1913 hatte Prinz Sixtus an Alois Musil über seine Beziehung zu Österreich und zum Thronfolgerpaar geschrieben :”[…]Meine Gefühle kennen Sie und meine Ideen auch. Ich werde stets mit größter Liebe an Österreich hängen, mit Freuden im Bereiche meiner Stellung dafür wirken. Und ganz besonders, wenn einmal Z[ita] und C[arl] F[ranz] J[oseph] dort sein werden, wohin sie berufen sind. Aber ich bin und bleibe ein Bourbon. Für meine Geburt ist Gott allein verantwortlich, dafür kann ich nichts. Stets werde ich einen guten Theil des Jahres in Österreich bleiben und während denen (sic!) nach Kräften Z[ita] und C[arl] helfen, Gutes in jedem Sinne zu wirken. Aber meine Freiheit kann ich nicht verlieren und meine 56 französischen Herrscher als Ahnen nie vergessen! Aber nicht aus dummen (!) Hochmuth! Dafür kennen Sie mich doch zu gut! So allein, unabhängig, kann ich wirken; nicht aber als pseudo archidux 2. Klasse! Dafür kann ich nichts!-[…]Wohl aber kann ein ehrlicher, gerader outsider dort eingreifen, wo es Not thut.[…]”[xi]
Mit dieser Einstellung verfaßte er 1915 in Pianore das schon erwähnte Schreiben an seine Schwester Zita. Er warnte vor dem Eintritt Italiens und Rumäniens in den Ersten Weltkrieg und vor dem deutschen Bundesgenossen. Die Donaumonarchie würde, von Rußland, Italien und Rumänien umzingelt, zum Vasallen Preußens und vernichtet werden. Land und Herrschaft, Monarchie und Dynastie seien in Gefahr. Würden die Alliierten auch keinen Sieg erwarten, könnten sie doch keinen von Deutschland diktierten Frieden akzeptieren. Österreich–Ungarn sollte, um der Zerstörung zu entgehen, den Zweibund lösen und mit Hilfe des Papstes zu einem Separatfrieden mit der Entente kommen. Die neutralen Mächte (Spanien, Holland, Dänemark, Schweden, Schweiz) wären ungeeignete Friedensvermittler, allein der Vatikan sei unabhängig. Er habe ausschließlich religiöse Interessen und der Papst besitze die göttliche Mission, Frieden zu stiften. Benedikt XV. möge über den englischen Gesandten beim Heiligen Stuhl diese Friedensaktion starten; Frankreich würde mitspielen.[xii]
Ein Teil des galizisch–österreichischen Adels wandte sich damals aus der Schweiz an Benedikt XV. mit der Bitte um Friedensvermittlung. [xiii]Der Gedanke, mit Hilfe des Papstes einen allgemeinen Frieden herbeizuführen, findet sich in dem Aide mémoire von Prinz Sixtus, wieder das er für seine Audienz bei Benedkt XV. (23 März 1915) konzipierte: “[…]Deutschland hat diesen Krieg gewollt[…],” und es hätte, wie diplomatische Texte bewiesen, ihn lang vorbereitet. Österreich wäre im guten Glauben zur Bündnistreue verpflichtet, aber Deutschland spiele ein doppeltes Spiel. Es hätte die belgische Neutralität und Unabhängigkeit garantiert und sich nicht daran gehalten. Deutschland habe Österreich seit langem zu seinem Komplizen geformt. Die Deutschnationalen kämpften für eine Fusion Österreichs mit Deutschland. An Universitäten und Banken agierten sie mit dem Ruf “Los–von Rom.” Österreich–Ungarn werde die deutsche Militärhilfe mit seiner Unabhängigkeit bezahlen. Die französische Situation sei vom Kampf gegen den Glauben, gegen die katholische Doktrin und Disziplin bestimmt. Ein Teil der Jugend, von alten Traditionen getragen, sei Rom treu, der größere Teil der Intelligenz neige sich vor der Häresie. Eigene Feinde hätten Frankreich den <heiligen Krieg erklärt>.[xiv] Die Anspielung an die Massonnerie war klar.
Nach seiner Thronbesteigung griff Kaiser Karl das Konzept seines Schwagers vom Jänner 1915 auf. Der Kriegswille Deutschlands sollte mit päpstlicher Hilfe gemäßigt werden, vorbereitende Friedensschlüsse mit Frankreich, England, Italien und Rußland sollten zum allgemeinen Frieden führen.[xv]
Kaiser Karl hatte durch Herzogin Maria Antonia seinen Schwager bitten lassen, die “Friedensouverture” in Frankreich und England vorzubereiten und zu Vorgesprächen nach Wien zu kommen.[xvi] Sixtus und Xavier waren mit Erlaubnis des belgischen Königs in die Schweiz gefahren. Sixtus stand der Reise nach Wien reserviert gegenüber, er konzipierte jedoch am 29.Jänner 1917 “ein Friedenspapier”, das an die wichtigsten Bedingungen der Entente anknüpfte, mit denen sie am 12. Jänner das Friedensangebot der Zentralmächte abgelehnt hatte.[xvii] Er nannte folgende Bedingungen:
¨ die Restitution von Elsaß- Lothringen an Frankreich ohne koloniale Kompensation,
¨ die Wiederherstellung Belgiens und die Rückgabe des Kongo,
¨ die Wiederherstellung Serbiens und die Vergrößerung Albaniens,
¨ die Übertragung Konstantinopels an Rußland.
Ein geheimer Waffenstillstand mit Rußland würde den angestrebten Frieden vorbereiten. Die Punkte eins und zwei betrafen Deutschland, Punkt drei bezog sich auf Österreich–Ungarn und Bulgarien, Punkt vier auf Bulgarien und die Türkei.[xviii] Diese Note war die Basis für den “Sixtusbief” vom 24. März 1917.[xix]
Im Frühling 1915 hatte Kaiser Franz Joseph den Eintritt Italiens in den Krieg zu vermeiden gesucht[xx] und Zar Nikolaus II. einen österreichisch–russischen Separatfrieden vorgeschlagen. Damals war Rußland ablehnend gewesen.[xxi] Als dann im Herbst 1916 revolutionäre Vorboten erschienen, berichteten französische Diplomaten über Versuche, russisch–österreichische Friedensgespräche mit Hilfe Englands in Schweden zu beginnen.[xxii] Das deutsche Außenamt unterstützte Pläne zur Zerstörung des Zarenreiches mit hohen Geldsummen.[xxiii] Im Februar–März 1917 entwickelten sich die Ereignisse in Rußland gegen das zaristische Regime: Streiks, Unruhen und Truppenbewegungen in St. Petersburg führten am 8. März 1917 zur Bildung von sozialistischen Arbeiterräten. Am 12. März 1917 versuchte Prinz Lwow die Situation mit einer Regierungsumbildung zu retten. Zar Nikolaus II. dankte am 15. März 1917 zugunsten seines Bruders, des Großfürsten Michael, ab.[xxiv]
Seit dem uneingeschränkten U – Bootkrieg (1. Februar 1917) standen die USA vor der militärischen Konfrontation mit Deutschland.[xxv] Staatssekretär Robert Lansing kritisierte Österreich beim Antrittsbesuch des Botschafters Adam Graf Tarnowski. Er sagte, man hätte sich vom “chevalresken ” Österreich–Ungarn den inhumanen, rücksichtslosen U–Bootkrieg (“Versenkung ohne Warnung”) nicht erwartet.[xxvi]
Unter diesen weltpolitischen Gesichtspunkten ist die Eile, mit der Kaiser Karl die Friedensbemühungen vorantrieb, nur zu verständlich.
Die Tendenz zu Separatfrieden, sowohl in der Türkei als auch in Deutschland gegenüber Rußland zu erkennen, stellte die großen Bündsnissysteme in frage und lockerte verhärtete Fronten.[xxvii] Die USA schalteten sich ein und präzisierten ihren Standpunkt.
Nach den Kontakten von Prinz Sixtus mit Wien und Paris (Jänner–Februar 1917) begannen bilaterale Gespräche Österreich–Ungarns mit Frankreich, England und Italien einerseits, mit Deutschland anderseits. Sie dauerten bis Ende Juni 1917. Der Vatikan sekundierte und unterstützte die österreichische Position. Eine Gruppe um König Viktor Emanuel III., Innenminister Orlando und General Cadorna schien geneigt, mit der Donaumonarchie Frieden zu schließen.[xxviii] Um diese diplomatischen Aktivitäten einsichtig zu machen, sind zuerst die Gespräche Österreich–Ungarns mit Frankreich, England und Italien, dann sein Versuch, Deutschland zum Frieden zu motivieren, darzustellen.
Graf Támás Erdödi , Kaiser Karls Geheimkurier, übergab Prinz Sixtus am 14.und 21. Februar in Neuchâtel die Positionen des Kaisers:[xxix]
¨ geheimer Waffenstillstand mit Rußland,
¨ Rückgabe von Elsaß–Lothringen an Frankreich,
¨ Wiederherstellung und Unabhängigkeit Belgiens.
¨ Gründung eines autonomen Königreichs Jugoslawien anstelle Serbiens, als Vereinigung von Bosnien – Herzegowina, Serbien, Albanien und Montenegro. Mit einem Erzherzog an der Spitze würde es in eine österreichisch -ungarische Föderation einbezogen.
Sixtus sah als Voraussetzung für ein positives Friedensgespräch die Wiederherstellung des Königreiches Serbien und seine Vergrößerung durch Albanien; womit er zweifellos die Linie des Quai d`Orsay vertrat. Sixtus plädierte für ein faît accomplit, für ein öffentliches Friedensangebot Österreichs an die Entente”[…] unter Wahrung des Anscheins der Freundschaft und des Bündnisses mit Deutschland[…].” Könnte der Kaiser nicht so offen handeln, wäre der Prinz bereit, den Weg eines diplomatischen Friedens zu versuchen.[xxx] Sein zweites Papier handelte bereits von einem Waffenstillstand zwischen dem Kaiser von Österreich und dem Kaiser von Rußland mit den Königen von Serbien, Italien und Rumänien, unabhängig von der Situation, die in Polen, Galizien, Rumänien, Serbien und Italien bestand. Frankreich und seine Alliierten sollten den Wunsch nach Frieden anerkennen.[xxxi]
Seit Kaiser Karls zweiter Fühlungnahme mit seinem Schwager (13./14. Februar 1917) war der Außenminister informiert. Graf Ottokar Czernin ersuchte sogar Kaiserin Zita schriftlich um den Besuch ihres Bruders Sixtus in Wien (17. Februar 1917).[xxxii] Im Mai 1918 konnte Ministerpräsident Ernst von Seidler herausfinden, daß der deutsche Reichskanzler Bethmann Hollweg Czernin gebeten hatte, einen Friedensversuch über die Familie der Kaiserin zu starten.[xxxiii]
Als Erdödi am 20./ 21. Februar 1917 in die Schweiz fuhr, nahm er die Antwort Czernins auf den Vorschlag des Prinzen Sixtus vom 13. Februar 1917 mit.[xxxiv] Das verlieh dem Gespräch offiziellen Charakter, drückte das Einverständnis des Außenministers zur kaiserlichen Sondierung aus. Czernin betrachtete offiziell das Bündnis der Zentralmächte als untrennbar. Er formulierte acht Punkte, in der Frage Elsaß–Lothringen verhielt er sich neutral.[xxxv] Bei der Durchsicht dieses Memorandums machte Kaiser Karl zu den Punkten 3,4,5,7,8 Zusätze, die den Charakter einer Akzentverschiebung trugen. Er diktierte Erdödi ein eigenes Papier, das einen anderen Ton in die Verhandlungen brachte; Czernin kannte diese kaiserlichen addenda nicht.[xxxvi] In Neuchtel verbrannte Sixtus in Gegenwart Erdödis die kaiserlichen addenda, am 23. Februar 1917 kehrte er mit Xavier nach Paris zurück.[xxxvii]
Inzwischen hatte Frankreich zwei amerikanische Interventionen zugunsten eines Separatfriedens Österreich–Ungarns mit der Entente erhalten. Sixtus dürfte davon gewußt haben, abwartend verzögerte er die Gespräche im französischen Außenamt.[xxxviii]
Amerika hatte Österreich–Ungarn aufgefordert, sich zum “verschärften U – Bootkrieg” Deutschlands zu äußern und den eigenen Standpunkt zu präzisieren.[xxxix] Czernin, der im Jänner 1917 die deutsche Regierung von ihrem Entschluß zum “verschärften U–Bootkrieg” nicht abbringen konnte, versuchte jetzt, ohne von der gemeinsamen Linie abzuweichen, den Bruch mit den USA hinauszuschieben. [xl]Auch der amerikanische Botschafter in Wien, Frederic Courtland Penfield, bemühte sich, die Beziehung mit Österreich–Ungarn zu erhalten.[xli]
Lansing hatte am 22. Februar 1917 Czernin wissen lassen, die Entente beabsichtige nicht die Auflösung der Donaumonarchie, bliebe die Kriegslage unverändert. Österreich–Ungarn möge Friedensvorschläge über amerikanische Vermittler machen.[xlii] Das schien die Note der Entente vom 12.Jänner 1917 und das Kriegsziel die Auflösung Österreich – Ungarns zu korrigieren.[xliii] Czernin, der um höchste Diskretion zu wahren, Penfield in sein Haus gebeten hatte, faßte die amerikanische Demarche als Kriegsmüdigkeit der Entente auf. “[…]He thinks,[berichtete Penfield]that Entente Governments are working for peace at Washington.[…]”[xliv]Der Außenminister antwortete, Österreich–Ungarn sei jederzeit bereit, den Krieg zu beenden, den es immer nur als Verteidigungskrieg geführt habe. Die Donaumonarchie würde in Friedensverhandlungen nur gemeinsam mit ihren Verbündeten eintreten und zuvor auf der Garantie ihrer Unversehrtheit bestehen. [xlv] Trotz dieser reichlich undiplomatischen Antwort brach Washington die Beziehungen zu Wien nicht ab. Es machte jedoch darauf aufmerksam, daß spätere Friedensbedingungen für die Donaumonarchie weitaus ungünstiger als im gegenwärtigen Augenblick ausfallen würden.[xlvi] Czernin war von der Uneigennützigkeit der USA nicht zu überzeugen. Die Situation verkennend,[xlvii] hoffte er, über Rußland zum allgemeinen Frieden zu kommen.[xlviii] Lansing meinte, Österreich –Ungarn würde seine Verbündeten genau so wie seine Feinde fürchten und aus Angst vor Deutschland einen allgemeinen Frieden anstreben. Er riet Wilson, den Vorschlag Czernins anzunehmen und ein Geheimtreffen mit der Entente zu arrangieren. Würde der Separatfriede der Form halber geleugnet, sollte er dennoch erörtert werden. Wilson griff diesen Gedanken nicht auf, womit der amerikanische Versuch, einen Sonderfrieden zwischen der Entente und der Donaumonarchie zu vermitteln, gescheitert war.[xlix]
Czernin beurteilte die amerikanische Intervention als Rettungsversuch des Zaren.[l] Am 5.März überreichte er Penfield die Antwort auf das aide memoire vom 18. Februar 1917: die Beeinträchtigung amerikanischer Interessen durch k.u.k. U–Boote sei unwahrscheinlich. [li]Das State Department war von dieser Antwort unbefriedigt, sie enthielt”[…]in bezug auf die Sicherheit neutraler Schiffe und auf die Verantwortung für Menschenleben keine Zugeständnisse.[…]”[lii]
Prinz Sixtus wartete ab. Nachdem Österreich–Ungarn seine Antwort an die USA hinauszögerte, rieten ihm politische Freunde zu handeln. Am 4. März 1917 fragte er den Direktor des französischen Auswärtigen Amtes, William Martin, nach italienischen und rumänischen Reaktionen. Martin verbarg die italienischen Einwände nicht. Am nächsten Tag begegnete Sixtus Raymond Poincaré, den Präsidenten der Französischen Republik. Für ihn war der Entwurf Czernins ungenügend und unannehmbar. Die Fortsetzung des Gespräches schien erst gesichert, als Sixtus die Zusätze Kaisers Karls rekonstruierte. Poincaré, der die strenge Geheimhaltung der Gespräche zusagte,, war jetzt bereit, sich mit dem Zaren in Verbindung zu setzen. Als einziges Problem betrachtete er Italien, dem man im Vertrag von London große Gebietszusagen gemacht hatte.[liii] Nun war Italien kriegsmüde und General Cadorna hatte um den Einsatz französischer Truppen gegen Österreich–Ungarn ersucht. Poincaré, der nur König Viktor Emanuel III. und Außenminister Sonnino zu trauen schien, schlug vor, Österreich–Ungarn sollte die vier Hauptpunkte Kaiser Karls präzisieren. Frankreich würde sie England und Rußland vertraulich mitteilen und einen geheimen Waffenstillstand vermitteln. Frankreich beabsichtigte nur, die nationale Einigung Deutschlands von 1871 rückgängig zu machen.[liv]
Der französischen Ministerpräsident Aristide Briand, stimmte mit Poincaré überein. Prinz Sixtus und Jules Cambon vom französischen Außenministerium würden Kaiser Karl und Graf Czernin auffordern, das Friedensangebot durch einen Intermediair zu übermitteln. Man wollte die Offensive gegen Italien aufhalten, einen Waffenstillstand schließen und die Donaumonarchie von Deutschland trennen.[lv]
Prinzen Sixtus wiederholte in seinem zweiten Gespräch mit Poincaré (8.März 1917) die Vereinbarung mit Briand: Poincaré würde einen von Briand contrasignierten Brief durch die beiden Bourbonen an den russischen Zaren schicken. Poincaré, der Spanien als Friedensvermittler ab lehnte,[lvi] meinte, die französische Botschaft in Bern würde das österreichisch–ungarische Friedensangebot weiterleiten.[lvii]
Prinz Sixtus informierte am 16. März 1917 Kaiser Karl. Die von ihm Ende Jänner 1917 skizzierten vier Punkte seien das Fundament des Friedensangebotes, das Resultat wäre positiver, würde die Abtretung von Triest zugesagt. Eroberte Italien Triest, würde dies die Entente anerkennen. Könnte Italien Triest nicht einnehmen, hätte die Entente die Möglichkeit, ihre Zusage von 1915 zu widerrufen. Man müßte den Augenblick nützen, schrieb Sixtus, wechselten in Frankreich die Minister, wären die Gespräche neu zu beginnen. Die bürgerlichen Liberalen in Moskau wollten den Krieg bis zum äußersten führen. Bliebe Rußland mit Frankreich und England verbündet, wäre das für Kaiser Karl die größte Friedensgarantie. Diesem Brief legte Sixtus seinen Entwurf einer an Frankreich gerichteten Note Österreich–Ungarns bei.[lviii] Schließlich reisten Sixtus und Xavier zu weiteren Verhandlungen nach Genf. Am 19. März 1917 erwarteten sie Erdödi im Hotel “Beau Rivage” Er sollte sie zu Geheimgesprächen nach Wien bringen, ein Brief von Kaiserin Zita unterstützte den Auftrag.[lix]
Die Reise war bereits vom k.u.k. Militärattaché, General William von Einem, und vom Grenzpolizeioberst von Lucke organisiert. Pässe, lautend auf Richard Pfister und Stephan Plattner, lagen bereit. Am 20. März 1917 fuhren die Prinzen per Bahn über Zürich an die schweizerisch–liechtensteinsche Grenze, dann im Auto über Vaduz nach Feldkirch. Erdödi nahm in Feldkirch den Nachtzug nach Wien, die Prinzen stiegen in Frastanz zu. Nach ihrer Ankunft in Wien fuhren sie zu Erdödi in die Landskrongasse 5. Am nächsten Morgen übergab Erdödi in Baden dem Kaiser den Brief des Prinzen Sixtus vom 16. März 1917. [lx]
Der berühmte ” Sixtusbrief “, zu dem es vermutlich 14 Entwürfe gab, lag damals schon im Konzept vor. Er hielt sich im wesentlichen an die Vorlagen vom 29. Jänner und 16. März 1917, war jedoch in seiner Position gegenüber Deutschland zurückhaltender.[lxi] Professor Alois Musil, Freund und Mentor des Prinzen Sixtus, hatte die delikate diplomatische Aufgabe erhalten, das österreichisch–ungarische Friedenspapier zu konzipieren. Graf Czernin, in die Redaktion einbezogen, besaß ein “brouillon.”[lxii] Wie man beim Vergleich uns zugänglicher Entwürfe mit dem Autograph erkennen kann, stand der Punkt über Elsaß–Lothringen zur Umdisposition. Im ersten Entwurf fehlte der Passus über die Wiederherstellung Belgiens, im “brouillon” des Grafen Ottokar Czernin, fehlte der Punkt über Elsaß–Lothringen.
Kaiser Karl hatte gegenüber dem Schweizer Botschafter Charles Daniel Bourcart die Elsaß–Lothringen als schwierigstes Problem bei einem Friedensschluß bezeichnet und auf Pläne zu dessen Neutralisierung angespielt.[lxiii]Damals wollte auch Rußland die Wiederherstellung Lothringens in seinen alten Grenzen (1790) unterstützen. Aus Elsaß–Lothringen sollte mit linksrheinischen Territorien ein autonomer, zentralistischer Staat gebildet werden.[lxiv] Nach der Überlieferung des österreichisch–ungarischen Handelsministers, Friedrich von Wieser, hatte Kaiser Karl zur Abtretung des französischen Teiles von Lothringen damals bereits die Zustimmung von Bayern, Württemberg, Baden, Hessen und Sachsen. [lxv]
Es war cca 20 Uhr, als Sixtus und Xavier in Laxenburg den Salon der Kaiserin betraten, in dem sie erwartet wurden.[lxvi] Nach der Darstellung von L ‘Offre de paix séparée,[lxvii] ging Kaiser Karl nach der Begrüßung, sofort “in medias res”. Das politische Gespräch entwickelte sich aus dem <Projet de note> vom 16. März 1917und dauerte von 20 Uhr bis zum Eintreffen des Grafen Czernin um 21.30 Uhr.
Was den deutschen Verbündeten betraf, waren die Meinungen verschieden. Sixtus betonte, Frankreich könne nicht mit Deutschland Frieden schließen, nachdem es seine Offensive vorbereite. Kaiser Karl war sich bewußt, daß Deutschlands führenden Militärs am Dogma des <Siegfriedens > festhielten. Er kannte ihren Realitätsverlust gegenüber der kriegsmüden Bevölkerung. Seine Bündnispflicht zwang ihn, zusammen mit Deutschland zu einem gerechten und ausgeglichenen Frieden zu kommen. Würde dieser Versuch mißlingen, müßte er einen Separatfrieden schließen.[lxviii]
Kaiser Karl wollte, zuerst die völlige Übereinstimmung mit Frankreich herstellen und mit dessen Hilfe englisch–russische Verhandlungen führen. Danach sollte Deutschland Stellung nehmen. In der Frage von Elsaß–Lothringen, Sixtus bestand auf dessen Restitution in den Grenzen von 1814, näherten sich beide dem Plan Briands, ein eigenes neutrales Condominium zu schaffen. Man sprach über Polen, an dem die Lösung der russischen Fragen hing, setzte die Frage Konstantinopels bis zur Stabilisierung der russischen Verhältnisse aus, diskutierte die Orientfrage und die Unterstützung des französischen Handels durch Österreich–Ungarn. Was Serbien betraf, forderte Kaiser Karl nur die Ausschaltung der Geheimgesellschaften, die in Österreich–Ungarn revolutionäre Propaganda trieben. Man war sich über die Wiederherstellung Belgiens und die Restitution des Kongo einig, bezüglich Italiens wünschte Kaiser Karl, seine Forderungen gemeinsam mit Frankreich, England und Rußland zu verhandeln. Angesichts der großartigen militärischen Verteidigung Tirols und des Truppenaufmarsches der Italiener in Friaul mußte der Kaiser die öffentliche Meinung berücksichtigen.[lxix]
Es war 21.30 Uhr, Graf Ottokar Czernin betrat im Gehrock den kaiserlichen Salon. Kaiser Karl hatte seinem Schwager den Minister als absolut friedenswillig dargestellt, Czernin kenne am besten die delikate Situation gegenüber Deutschland, er werde nicht antideutsch reagieren. Doch man könne offen sprechen.[lxx]
Prinz Sixtus, dem die diplomatischen Fußangeln in Czernins Papier vom 19. Februar 1917 mißfallen hatten, beschrieb den Außenminister als lang, mager und kalt. Das angeblich nur 20 Minuten dauernde Gespräch sei eisig gewesen, trotz des lebhaften Wunsches von Kaiser Karl, einen wärmeren Ton anzuschlagen. Der Außenminister sprach so ephemer, daß man seine Gedanken nicht erkennen konnte. Macchiavelli hätte seine Art sicher mißbilligt, schrieb Sixtus, Czernin bluffte, aber er bluffte schlecht.
Nach jenem Entwurf des “Sixtusbriefes”, den Graf Czernin besessen hatte, dürfte das Gespräch bei Elsaß–Lothrinen ins Stocken geraten sein.[lxxi] Der Außenminister blieb oberflächlich und unbestimmt, Prinz Sixtus drängte auf Präzision.
Kaiser Karl beriet sich mit Czernin im Nebenzimmer–nach Steglich fast eine Stunde–[lxxii] dann versprach er klarere Formulierungen. Der Minister würde sie am nächsten Morgen zu Erdödi bringen. Czernin hatte den Kaiser gelangweilt, die Konversation war nicht, wie von ihm erwartet, gewesen.[lxxiii]
Das zweite Gespräch Czernins mit Sixtus brachte keine Fortschritte. Der Außenminister blieb weiterhin unklar.[lxxiv] Zum Schluß gab er mündlich sein Einverständnis zum Friedensschritt des Kaisers und versicherte, hinter seinem Souverän zu stehen.[lxxv]
Am Abend des 24. März 1917 fuhren die beiden Parma Prinzen wieder nach Laxenburg.[lxxvi] Kaiser Karl überreichte ihnen das Autograph des österreichisch–ungarischen Friedensangebotes an Frankreich. Er hatte es handschriftlich ohne Gegenzeichnung Czernins[lxxvii] verfaßt und den Punkt über Elsaß–Lothringen umformuliert. Das Schreiben beinhaltete die von Sixtus geforderten vier Punkte:
Kaiser Karl wollte seinen gesamten persönlichen Einflusses aufbieten, um die gerechten Rückforderungsansprüche Frankreichs auf Elsaß–Lothringen zu erwirken, die Wiederherstellung der Souveränität Belgiens und die Rückgabe von dessen afrikanischen Kolonien zu erreichen. Er erklärte sich mit der Wiederherstellung der serbischen Monarchie einverstanden, sicherte ihr einen adriatischen Hafen und große wirtschaftliche Vorteile zu. Dagegen forderte Österreich–Ungarn das unbedingte Verbot der Geheimgesellschaften, die, wie die Narodna Odbrana, eine Auflösung der Monarchie anstrebten. Unter Garantie der Entente sollte in Serbien und an seinen Grenzen diese politische Agitation eingestellt werden.
Der Kaiser wollte sich zu Rußland erst nach der Existenz einer legalen und definitiven Regierung äußern. Er ersuchte den Prinzen, Frankreich und England seine Auffassungen mitzuteilen, um offizielle Gespräche beginnen zu können.[lxxviii] Es fehlte ein Hinweis auf Zugeständnisse an Italien.
Bei der Übergabe des Briefes sagte der Kaiser “[…]dem Prinzen Sixtus ausdrücklich: dem Präsidenten Poincaré bei der Überbringung der Message zu erklären, daß, falls etwas durch Frankreichs Schuld herauskäme, ich den ganzen Brief auf das Entschiedendste (sic!) leugnen würde und zum Beweis meiner Bundestreue gegen Deutschland gezwungen wäre, Divisionen in den Westen zu werfen. Weiters bat ich den Prinzen, das Original des Briefes bei keinem der Machthaber der Entente zu belassen, sondern ihn selbst aufzuheben[…].” [lxxix]
Der Besuch der Bourbonen in Schloß Laxenburg war zu Ende. Der Brief trug das Datum des 24. März 1917, am 25.März verließen Sixtus und Xavier Wien, geheim, wie sie gekommen waren.[lxxx]
[hide-this-part morelink=”Fußnoten anzeigen”]
- das Bündnis zwischen Österreich–Ungarn, Deutschland, der Türkei und Bulgarien sei absolut unauflöslich
- Serbien solle nicht vernichtet werden. Österreich- Ungarn müsse jedoch Garantien erhalten, daß es nicht zu ähnlichen politischen Umtrieben wie vor dem Mord von Sarajewo käme. Im übrigen sei Österreich- Ungarn bereit, durch weitgehende wirtschaftliche Zugeständnisse ein freundschaftliches Verhältnis zu Serbien aufzubauen
- würde Deutschland auf Elsaß – Lothringen verzichten wollen, wäre Österreich- Ungarn nicht dagegen
- die Wiederherstellung Belgiens, seine Entschädigung durch alle Kriegführenden
- es sei ein großer Irrtum zu glauben, daß sich Österreich–Ungarn unter deutscher Vormundschaft befinde. Hier in Österreich- Ungarn sei die Auffassung verbreitet, Frankreich handle völlig unter dem Druck Englands
- Österreich–Ungarn denke nicht daran, Rumänien zu vernichten. Es müsse dieses Land nur so lange als Pfand behalten, bis der Bestand der vollen Integrität der Monarchie garantiert sei
- Österreich–Ungarn habe öffentlich erklärt, nur einen Verteidigungskrieg zu führen. Sein Zweck sei dann erreicht, wenn die Sicherheit für die freie Entwicklung der Monarchie gewährleistet sei
- In Österreich–Ungarn bestünden keine Privilegien für die verschiedenen Nationen. Die Slawen würden immer dieselben Rechte wie die Deutschen besitzen. Man verkenne im Ausland die Gefühle jener Slawen, die Kaiser und Reich treu seien.
- ad 3: Wir werden Frankreich unterstützen und mit allen Mitteln auf Deutschland einen Druck ausüben
- ad 4: Wir haben die größten Sympathien für Belgien und wissen, dass ihm Unrecht geschehen ist. Entente und wir werden die großen Schäden vergüten
- ad 5: Wir stehen absolut nicht unter deutscher Hand; so haben wir gegen Deutschlands Willen nicht mit Amerika gebrochen. Bei uns die Meinung, Frankreich stehe ganz unter englischem Einflusse
- ad 7: Auch Deutschland
- ad 8: Bei uns gibt es keine Privilegien für einzelne Völker, die Slaven vollständig gleichberechtigt. Einheit aller Völker und Treue zur Dynastie. Unser einziges Ziel ist, die Monarchie in ihrer jetzigen Größe zu erhalten.
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