Österreich und die Habsburger – Vortrag in Gaming

Das Thema dieses Vortrags ist weder als historischer Grundriß noch als Summarium der österreichischen Geschichte von 1282 bis 1996 zu verstehen.

Unsere Fragestellung zielt auf die Beziehung von Land und Herrschaft, auf die Verbindung von “österreichischen” Ländern und habsburgischer Dynastie. Wir fragen: nach der Bindung, nach ihrer Entstehung, nach ihrer Festigung und Bedeutung und nach ihrem Ergebnis. Wir wollen wissen, welches Land die Dynastie 1282 übernahm, wie sie sich behauptete, was zur Vergrößerung des Landes, zur Hebung seines kulturellen Zustandes führte, seit wann sich Land und Dynastie miteinander identifizierten.

Es soll untersucht werden, was die Habsburger den österreichischen Ländern brachten, was diese Herren aus der Schweiz den Grenzländern Österreich und Steiermark für einen Sinn und für eine Bedeutung gaben, wie sie es verstanden, eine österreichische Hausmacht zu schaffen und welche Konflikte die Familie auf das Land übertrug.

Ausdruck dieser Bindung von Land und Herrschaft war zunächst die Belehnung durch den König  (meist auf einem Reichstag), bei der der Herzog den Treueid leistete, danach Herrschafts- und Feldzeichen übernahm. Die Huldigung durch die Stünde erfolgte beim Herrschaftsantritt als Freiheiten, Rechte und Privilegien bestätigt waren, im sakralen Rahmen. Diese Herrschaftsübernahme war an christliche Wert- und Machtvorstellungen gebunden. Sie festigte das Band von Land und Herrschaft derart, daß man sie als „marriage mystique”, als mystische Verbindung bezeichnete.

König Rudolf I. belehnte zu Weihnachten 1282 seine Söhne Albrecht und Rudolf mit den babenbergischen Herzogtümern Österreich und Steiermark, die 1276 an das Reich gefallen waren. König Ottokar II. Premyzl von Böhmen hatte zunächst die Unterwerfung unter den Deutschen König verweigert. Als ihn Rudolf I. militärisch dazu zwang, hatte er der Belehnung zugestimmt. Dann war er aufständisch geworden; 1278 in der Schlacht von Dürnkrut und Jedenspeigen besiegt, wurde er von einem Privaträcher ermordet. König Rudolf I. hatte sich bereits 1276 der babenbergischen Länder versichert, 1279 sich mit ihrer Erbin verglichen und sie finanziell entschädigt.

1281 wurde Albrecht I., der älteste Sohn, Landverweser. Ein Rat von Landherren sollte ihn unterstützen. Mit der “Gesamthandbelehnung” wurden Österreich und Steiermark nach allemannischem Recht beiden Söhnen Rudolfs I. übertragen. Die österreichischen Stände ersuchten um nur einen Herrn. Deshalb wurde im Vertrag von Rheinfelden (1283) Albrecht I. alleiniger Herrscher. Der Familienkonflikt, der aus diesem Vertrag entstand, kostete ihn 1308 das Leben.

Die Schwierigkeiten der Verwurzelung des Schweizer Geschlechtes, das mit der Belehnung Österreichs und der Steiermark seinen Schwerpunkt vom abendländischen Westen nach Osten verlagerte, waren sehr groß. Schwäbische Sprache und Mentalität stießen auf Ablehnung, es entstanden Konflikte in Wien und mit den Nachbarn: den Bayern, mit dem Erzbischof von Salzburg, mit Ungarn, Böhmen, Aquilaea und Konstanz und in den althabsburgischen Besitzungen der Schweiz, mit den Herzogen von Niederbayern, den Grafen von Savoyen, den Schweizer Eidgenossen und den lombardischen Städten.

Herzog Albrecht I. griff scharf und rücksichtslos durch. Er zeigte dem landständischen Adel, daß er nicht Landesfürst von dessen Gnaden war. In Verbindung mit seinem Schwiegervater Meinrad II. von Görz, dem Rudolf I. Kärnten und Krain verpfändet hatte, gelang es, die Erhebungen in Österreich, Steiermark und Kärnten niederzuwerfen, dann einen raschen Friedensschluß mit dem militärisch überlegenen König Andreas III. von Ungarn herbeizuführen. Dieser hatte bereits große Teile Österreichs schwer verwüstet. Diplomatische Schritte befriedeten den Erzbischof von Salzburg und den König von öhmen.

1295 konnte der Herzog eine neuerliche Empörung in den österreichischen Ländern besiegen. 1297 deutscher König geworden, belehnte Albrecht I. seine Söhne Rudolf, Friedrich und Leopold mit den österreichischen Ländern, die nun nach französischem Muster organisiert und verwaltet wurden. 1300 verheiratete er seinen Sohn Rudolf (III.) mit der französischen Königstochter Blanche von Valois. Zum ersten Mal wurde im habsburgischen Thronrecht die Primogenitur übernommen.

In dieser ersten Phase der schwierigen Behauptung der Dynastie in den Ländern, in denen Siedlungen und Landstriche verlassen und zu Wüstungen geworden, die Bevölkerung um ca. 30% abnahm, entstand der “Österreichische Mythos”. Der Begriff bedeutet keine Kosmogonie, unter ihm ist auch nicht zu verstehen, daß man mit Illusionen Macht ausübte und behauptete. Der “Österreichische Mythos” des 13. Jahrhunderts als Erklärung von Ursprung und Geschichte, von “Land und Herrschaft”  war der erste Identifikationsvorgang der Habsburger mit Österreich.

Er formulierte das Gemeinsame und rechtfertigte die neue Herrschaft als “natürliche Herrn”, als domini naturalis mit der Tradition. Die Gemahlin Albrechts I., Elisabeth von Görz, stammte in weiblicher Linie vom Babenberger Leopold III. ab. Diese Ansippung unterstrich das Herzogspaar mit den Babenbergernamen Agnes, Friedrich, Leopold und Otto für vier seiner Kinder. Rudolf (III.), Elisabeth  und Albrecht (II.) trugen habsburgische Namen.

Mit der Wiedererwerbung des Römischen Königtums wurde auch der Ursprung der Habsburger im phantastischen Geschichtsbild des Mittelalters nach Rom verlegt, die Abstammung von den römischen Stadtgeschlechtern Pierleoni und Colonna behauptet.

Die Ansippung hob den Zusammenhang mit den alten Königsgeschlechtern von Staufern und Saliern hervor, sie bewies, daß die Familie königlichen Geblütes, eine stirps regia et beata war, die dem Volk das Königsheil, die gute Herrschaft, brachte. Dieser Vermehrung des Königsheils diente eine großangelegte Heiratspolitik der Kinder Albrechts I., die mit Prinzen und Prinzessinnen von Ungarn, Frankreich, Polen, Lothringen, Aragon, Savoyen, Bayern, Böhmen-Luxemburg vermählt wurden. Durch Johanna von Pfirt, die Albrecht II.  am 17.3.1324 oder im Mai 1324 heiratete,  erfolgte – wie wir jetzt wissen – die Ansippung an Karl den Großen.

Der Verlust des deutschen Königtums an Wittelsbacher und Luxemburger und die drohende Gefahr der Kinderlosigkeit Albrechts II. ließen Züge großer Familienfrömmigkeit hervortreten. Wallfahrten nach Köln und nach Aachen zu den Heiligtümern der deutschen Könige und nach Klosterneuburg zum Grab des frommen Babenbergers Leopold III. bildeten den Nährboden für das Fortleben der Dynastie, die sich seit Friedrich I. dem Schönen (1308-1330; 1314-1322 Gegenkönig), dem Bruder Albrechts II., in Österreich beheimatet fühlte. Albrecht II. konnte die “Herrschaft zu Österreich” vergrößern. Dieser Begriff bezeichnete sämtliche Territorien, die zu Österreich gehörten oder hinzukamen: 1335 wurden Kärnten, Krain und die windische Mark, 1363 Tirol, Görz und Gradiska, 1382 Triest der Herrschaft zu Österreich einverleibt.

Die Herrschaftserweiterung der Habsburger erfolgte in Antagonismus und Ambivalenz zu den Luxemburgern, die im Königreich Böhmen ihre Hausmacht begründet hatten. Bei der Dekretierung der Goldenen Bulle, der deutschen Königswahlordnung von 1356, hatte Karl IV. den Herzog von Österreich übergangen, ihn aus dem Kollegium der Kurfürsten ausgeschlossen. Deshalb entstand 1358 das Privilegium Majus. In dieser Fälschung, die der Kanzler Herzog Rudolfs IV. in der Wiener Hofburg  vornahm und in der er echte und erfundene Dokumente miteinander kombinierte, wurde der Mythos des Landes durch die Habsburger formuliert. Bereits 1245 im urkundlichen Konzept zum Königreich erhoben, reklamierte der Herzog jetzt den Rang des Landes. Sein Ursprung war in die Zeiten Caesars und Neros versetzt und von dort das Recht der Steuerfreiheit nachgewiesen. In einem dieser 7 Dokumente formulierte der Herzog die Sendung des Landes, seinen abendländischen Auftrag: “Herz und Schild des Heiligen Römischen Reiches” zu sein.

Die imaginäre Behauptung des Königreiches Österreich bedurfte sichtbarer Herrschaftszeichen, die sich Rudolf IV. in seiner “fürstlichen Majestät” und seiner Selbsterhebung zum Erzherzog erfand. Das französische Vorbild beherrschte Luxemburger wie Habsburger. Bei der Grundsteinlegung der neuen Wiener St. Stephanskirche von 1365, die analog zu Klosterneuburg mit einem Westwerk den Charakter einer Königskirche erhielt, deponierte man das Andenken an den österreichischen Landespatron, den Kolomanistein und die Reliquien des hl. Morandus, des Hauspatrons der Habsburger.

 

Albrecht III., der Bruder Rudolfs IV., setzte das Werk habsburgischer Repräsentation in Österreich fort. In den Seitenkapellen von St. Stephan beleuchtete die Sonne die Glasfenster des Habsburgerstammbaums. Die Wiener Universität, die Rudolf der Stifter 1365 grundgelegt hatte, erhielt 1384 die Theologische Fakultät, sie wurde zur ersten Schule des Landes. Die Urbanisierung, ein Charakteristikum der habsburgischen Herrschaft in Österreich, vermittelte durch das mit ihr verbundene Schul- und Bildungswesen die Alphabetisierung der Bevölkerung. Noch immer dominierten französische Einflüsse.

 

Familiendifferenzen, die im Zuge der Vergrößerung der Herrschaft bei den Arrondierungsversuchen zwischen den österreichischen Vorlanden und den österreichischen Erblanden entstanden waren,

hatten habsburgische Hausteilungen zur Folge. Man teilte die Territorien der Herrschaft in Österreich, Vorder- und Innerösterreich und überdachte sie gleichzeitig mit dem Begriff des “Hauses Österreich”.  Dieses reichte von der Grenze Ungarns und Böhmens bis zur Adria und über Tirol und Vorarlberg bis in die Mitte der heutigen Schweiz. Aus den alten Grenzmarken Österreich und Steiermark war in knapp hundert Jahren ein mitteleuropäisches Territorium entstanden, dem nur durch die Ausdehnung des Erzbistums Salzburg seine Geschlossenheit fehlte.

 

Das Schweizer Geschlecht hatte sich in den östlichen Ländern so sehr eingewurzelt, daß es den Namen Österreich für alle seine Besitzungen übernahm  und auf seine Familienmitglieder übertrug. In den folgenden Jahrhunderten wird der Name “Casa d’Austria” auch für die spanischen Infanten und Infantinnen gebräuchlich und in ganz Europa heimisch.

 

Die Osmanengefahr aus dem Osten – sie hatten 1396 Nikopolis erobert – bewirkte die erste Ständeversammlung in Österreich. Landtage hatten ein dauerndes Mitbestimmungsrecht, sie bewilligten Steuern, Kriegsdienstleistungen, stimmten dynastischen Verträgen zu, die die Interessen des Landes berührten und halfen in Notzeiten bei der Friedenswahrung.

 

An der Wende vom 14. zum 15. Jahrhundert zeigten sich die Probleme und Themen, die die kommenden drei Jahrhunderte österreichischer Geschichte bestimmen sollten:

  • die Auseinandersetzung mit den Osmanen,
  • die Erhaltung der Länder im Katholizismus,
  • die Bekämpfung von Häresien,
  • die Herrschaftsansprüche der eigenen Familienmitglieder,
  • Streitigkeiten um Vormundschaften, die zentrifugal wirkten, zu Parteiungen, Spaltungen und zu Bürgerkriegen führten.

 

Auch galt es die Verbindung Österreichs mit den Königreichen Böhmen und Ungarn, die unter König Albrecht II. (Herzog Albrecht V.) von 1437 bis 1439 erstmals erfolgt war, zu erhalten. Dazu kam  der Kampf um die Behauptung der Römischen Königs- und Kaiserwürde. Friedrich III. 1440 zum Römischen König gewählt, machte sich ähnlich dem Herzog Philipp dem Guten von Burgund von den Tendenzen und den Ideen des Konziliarismus frei, verbündete sich mit dem Papst und leitete damit eine jahrhundertebestimmende Periode zwischen habsburgischem Kaisertum und römischem Papsttum ein. Auch die Schatten päpstlicher Politik im Machtstreben des Kirchenstaates konnten diese grundsätzliche Einstellung zum römischen Papst nicht erschüttern – Maximilian II. in der Mitte des 16. Jahrhunderts ist hier auszuklammern.

 

Die Auseinandersetzung mit den Eidgenossen und der Verlust habsburgischer Stammlande in der Schweiz hatten  im 15. Jahrhundert die Annäherung der Habsburger an die Herzöge von Burgund bewirkt. Friedrich III. und Philipp der Gute waren beide mit portugiesischen Prinzessinnen verheiratet. Beide Herrschaftsgebiete, das burgundische wie das österreichische, benötigten Gebietserweiterungen, um eine Geschlossenheit der Herrschaft zu sichern. Beide Herrscher tendierten nach der Erhebung ihrer Länder zu Königreichen.

 

Im Jahre 1452  war Friedrich III.  von Papst Nikolaus V. in Rom zum Kaiser gekrönt worden. Die Situation in den österreichischen, böhmischen und ungarischen Ländern war spannungsgeladen und von ständischer übermacht charakterisiert. Als Römischer König und Kaiser bestätigte er das Privilegium maius, erhob es zum Staatsgrundgesetz und festigte damit Herrschaftsansprüche, Traditionsvorstellungen und dynastisches Bewußtsein, das Rudolf IV. so zwingend formuliert hatte. Österreich war als Erzherzogtum über alle Reichsstände, die Familie über alle Fürsten Europas erhöht. In den schrecklichen Zeiten der Bürger- und Ständekriege betrieb der König die Heiligsprechung des Babenbergers Leopold III. und die Gründung des Bistums Wien. Mit der Beatifikation des “babenbergischen Blutsverwandten” durch Papst Innozenz VIII. am 6. Jänner 1485 war die habsburgische Dynastie als stirps regia et beata päpstlich bestätigt, der habsburgische Haus- und Staatsmythos institutionalisiert.

 

Kaiser Friedrich III., der seinen Sohn Maximilian mit der reichsten Erbin Europas, mit Maria von Burgund, vermählte, ging in der Darstellung des habsburgischen Mythos über Rudolf den Stifter weit hinaus. Er übernahm nicht nur die Farben und fabulösen Wappen Österreichs und seinen Pfauenstoß, er war sich vielmehr des Bestandes der Dynastie und der Länder bis zum Untergang der Welt sicher. AEIOU, die geheimnisvollen Zeichen, mit denen Friedrich III. sein Eigentum versah, interpretierte der Kaiser selbst: Alles Erdreich ist Österreich unterthan – Austriae est imperare omni universum und Austria erit in orbe ultima!

 

Zu Beginn des 15. Jahrhunderts hatten die Einflüsse der Luxemburger auf Österreich dominiert. Als nach der burgundischen Heirat der Name “Haus Österreich” zum Namen “Haus Österreich und Burgund” erweitert wurde, prägte der burgundische Kultureinfluß vorbildhaft den Hof Kaiser Maximilians I. in Innsbruck. Seine glanzvolle Repräsentation stellte der damaligen Welt die Größe und Bedeutung seiner Familie, seine Ahnen und Verwandten,  seine europäische Blutsverwandtschaft vor Augen. Maximilian I. war es gelungen, die Teilungen der österreichischen Erblande zu überwinden, durch Heiratsverträge mit den Jagellonen die vorübergehend verlorenen Königreiche Böhmen und Ungarn zu sichern und in der schweren Auseinandersetzung mit Frankreich seine Kinder mit den spanischen Infanten zu verheiraten.  Sein  Herrschaftsanspruch, sogar das Papsttum zu erreichen, hatte eine ungeheure Dynamik und Unbeirrbarkeit gegenüber realen Machtverlusten in den wechselhaften Zeitläufen.

 

Österreich an der Stier  Europa gelehnt. Dieses Bild  präsentierte seit dem Regierungsantritt Karls V. allegorisch die Situation von Land und Herrschaft: in seinem Reich ging die Sonne nicht unter; die Fülle der Macht war die damalige Weltherrschaft. Der römische König, seit 1530 römischer Kaiser war König von Spanien, Erzherzog von Österreich. Sein Bruder Ferdinand I., dem er durch die Verträge von Worms, Wien und Brüssel die österreichischen Herrschaftsgebiete und die Vorlande übertragen hatte, wurde nach der Schlacht von Mohacs 1526, in der sein Schwager König Ludwig II. gefallen war, König von Ungarn und Böhmen. Diese europäische Macht der Familie deckte sich ungefähr mit der Ausdehnung des Reiches Karls des Großen. Ausgenommen davon war Frankreich, dessen König Franz I. seine Abstammung direkt und in ununterbrochener Erbfolge auf Karl den Großen zurückführte. Er wurde zum ärgsten Rivalen Karls V.

 

Dieser hatte das Römische Kaisertum als Amtskaisertum und nicht als Erbkaisertum übernommen, das sich auf die Salbung und die Auserwählung durch Gott in der Identifikation mit König David und auf die Weihe und Bestätigung durch den römischen Papst stützte. In dieser Kaiserwürde trat der Habsburger die Nachfolge der römischen Caesaren und des antiken christlichen Kaisers als “neuer Konstantin” an.

 

Längst hatten Habsburger, Luxemburger und Burgunder im 15. Jahrhundert ihre Stammbäume zum fänkischen Ursprung hin orientiert. In der Nachfolge Karls des Großen übernahm Karl V. dessen Aufgaben: die Verteidigung des christlichen Abendlandes gegen den Islam, auf dem Balkan und auf der Pyrenäenhalbinsel. Der Ausbruch der Reformation (1517) bürdete dem Kaiser die Last auf, als advocatus et defensor ecclesiae gegen die Häretiker, damals gegen die Anhänger Luthers im Heiligen Römischen Reich vorzugehen. Eine Aufgabe, die er durch die Parteinahme der Reichsfürsten für Luther und durch das Unverständnis der römischen Päpste nicht lösen konnte.

 

Als Ferdinand I. 1521 die Herrschaftsvertretung für seinen Bruder in Österreich übernahm, amtierte in Wien bereits ein ständisches Regiment. Die Unabhängigkeitstendenzen österreichischer Stände waren ähnlich wie zu Zeiten Albrechts I. Auch die Situation des Landesfürsten ist im vergrößerten Maßstab vergleichbar: Ferdinand I., in Mecheln und in Spanien erzogen, beherrschte die Landessprache nicht, seine Repräsentation war anders als jene seiner Vorfahren des 15. Jahrhunderts, er war distanziert und unnahbar. Im Wiener Neustädter Blutgericht von 1522, das er durch  unabhängige Richter besetzte, wurde den Untertanen die neue Herrschaft machtvoll, blutig und eindringlich zu Bewußtsein gebracht. Am Wiener Fleischmarkt waren die Leichen der Aufständischen zur Besichtigung durch das Volk ausgestellt.

 

Die österreichischen Herren hatten sich in ihrer Unabhängigkeit gegen das katholisch-absolutistische Regiment der neuen Herrschaft, das nach spanisch-burgundischem Muster agierte, durch die Hinwendung zum Luthertum profiliert. Die Landesdefension, 1529 standen die Türken vor Wien, zwang Ferdinand I. zum Kompromiß. Dieser war weitgehend. Er erlaubte den Herren und Rittern die lutherische Religionsausübung in privatem Rahmen. Bürger und Bauern waren davon ausgenommen. Alles war aufständisch und die neue Lehre, aber auch das Täufertum, erfaßte die Menschen, trieb Mönche und Nonnen aus den Klöstern. Die Bauern kämpften um ihre Freiheit und die Wiener Universität hatte nur mehr wenige Hörer.

 

Die Jugend des Adels und des aufstrebenden Bürgertums zog im zweiten Drittel des 16. Jahrhunderts an die lutherischen Universitäten von Wittenberg und Halle, die Bergleute von Salzburg, vom oberen Inntal transportierten die neue Lehre, die ausgesprungene Priester als Prediger verbreiteten.

Manche Statistiken sprechen, daß Österreich zu 4/5 evangelisch geworden war. Jedenfalls war der Zustand der lutherischen Konfession, die Anhängerschaft an die neue Lehre so gefestigt, daß man eine protestantische Kirchenstruktur für Österreich forderte und konzipierte.

 

Unter der fortwährenden Auseinandersetzung mit den Osmanen, die in den Woywoden von Siebenbürgen Verbündete gefunden hatten, blieb Ferdinand I., Maximilian II. und Karl II. von Innerösterreich keine andere Wahl, als die gemäßigte Toleranz gegenüber dem lutherischen Adel. Man brauchte die Herren, um sich der aufständischen Bauern zu versichern und die ständische Ordnung zu halten. Seit 1530/31, als die Wahl Ferdinands I. zum Römischen König lanziert wurde, propagierten nach dem Augsburger Reichstag die lutherischen Reichsfürsten das Konzept des “Protestantischen Kaisertums”. Ein föderalistisch lockerer Verband von Reichsfürstentümern unter der Führung eines evangelischen Fürsten war die Alternative zu dem sich im Absolutismus zentrierenden katholischen Herrscherhaus.

 

Noch war unter Karl V. die Idee des katholischen Kaisertums so dominant, daß man sich einen evangelischen Kaiser auch wegen der Ablehnung des Papsttums durch Luther nicht vorstellen konnte. Trotzdem blieb diese Idee des protestantischen Kaisertums zunächst in der literarischen Diskussion. Mächtige Persönlichkeiten aus dem evangelischen Lager, wie Heinrich IV. von Frankreich, Christian IV. von Dänemark und Gustav II. Adolf von Schweden trugen sie in den Bereich der Verwirklichung.

 

Ferdinand I., dessen Wesen Konzilianz charakterisierte, verfolgte trotz seiner Zugeständnisse an den Adel seinen Vorsatz zur Rekatholisierung der österreichischen Erbländer. Burgundisch-spanische Einrichtungen, die Hoforganisation und das Zeremoniell waren analog zu Madrid am Wiener Hof eingeführt. Die jahrhundertelange Feindschaft zu den Wittelsbachern wurde durch Heiratsverbindungen beseitigt. Sie schufen die katholische Machtgrundlage, auf der der Jesuitenorden mit spanischen und savoyardischen Patres unter Petrus Canisius seine Mission in Österreich beginnen konnte (1556).

 

Das Luthertum war auch in die Herrscherfamilie eingedrungen: der älteste Sohn Ferdinands I., Maximilian II., teilweise in Spanien erzogen und mit der Tochter Karls V. verheiratet, fühlte in seiner Ablehnung des spanischen Katholizismus Ähnliches wie die österreichischen Herren. Doch das Spanische war so dominierend zur Verteidigung des Katholizismus angetreten, daß Maximilian II. eine Ausnahmserscheinung in der Familie blieb. Alle seine Söhne wurden von Philipp II. in Spanien erzogen. Die spanische Verwandtenheirat, unter dem Gesichtspunkt von Erbe und Weltherrschaft bis ins späte 17. Jahrhundert praktiziert, brachte in beiden Linien der Habsburger deutliche Degenerationserscheinungen hervor, die unter Rudolf II. in den Ländern Unruhe hervorriefen.

 

In diesen Zeiten der Schwäche des Herrschers und seiner Brüder belebte im Zuge der Rekatholisierung der Wiener Bischof Johann Caspar Neube(ö)ck den Kult des heiligen Leopold, der mit Kostantin dem Großen als Pater Patriae identifiziert wurde. Maximilian III. stiftete 1616 für die Erbhuldigung den österreichischen Erzherzogshut, um den die St„nde bereits 1577 ersucht hatten. Vermutlich wollten sie analog zu den Königreichen Böhmen und Ungarn ein eigenes Herrschaftszeichen besitzen, das im Symbol das Land repräsentierte. Damit wurde in der Krise der Dynastie in Hausbesitz und Reich (Rudolf II. mußte 1612 resignieren) der heilige Babenberger Leopold III. als Schutzpatron propagiert, die Kraft der Tradition zur Bewältigung der anstehenden Probleme beschworen. Seit Ferdinand II. wurde die Pietas Austriaca als erste Tugend von der Familie bewußt gepflegt und als “österreichische Frömmigkeit” mit Hilfe von Jesuiten und Kapuzinern, München und Nonnen aus Spanien und Italien den Österreichern eingeprägt.

 

Konspirierten die Ungarn nach wie vor mit den Osmanen, um die habsburgischen Könige abzuschütteln, nahmen die böhmischen Herrn die protestantische Konfession an, verbündeten sich mit den pfälzischen Calvinern. Die Grenzlinien von katholischen und protestantischen Fürstentümern im Reich verliefen am Beginn des 17. Jahrhunderts von der Rheinpfalz über Sachen-Anhalt nach Böhmen und von dort nach Siebenbürgen. Auch die Herrn von Oberösterreich konspirierten mit der böhmisch Rebellion. Sie löste den Dreißigjährigen Krieg aus, in dessen blutigem Ringen die konkreten Möglichkeiten, das protestantische Kaisertum zu errichten, durch den Tod der Könige Christian IV. von Dänemark und  Gustav II. Adolf  von Schweden verschwanden.

 

Der Sieg über die Böhmen in der Schlacht am Weißen Berg 1621 und die restriktiven Maßnahmen der “vernewerten Landesordnung” 1627 bewirkten verschiedene Prozesse, die alle habsburgischen Herrschaftsgebiete betrafen: die Ausweisung der nicht konvertierwilligen Protestanten, die finanzielle Ablösung ihrer Ländereien und das Inkolatsrecht (das Recht zum Erwerb von Land), das nur für Katholiken galt. Sie leiteten hauptsächlich in Adel und Bürgertum eine Bevölkerungsbewegung ein, die den Begriff des Österreichischen als Mischung aus Nationen und ihren Eigenschaften grundlegte. Alphons Lhotsky stellte fest, daß man seit damals von einem “österreichischen Adel” sprechen kann, der unabhängig von seiner geographischen Position ähnliche Verhaltensmuster und Standeskodices aufwies. Andererseits traumatisierte die Rekatholisierung Böhmens dessen slawisch-tschechische Bevölkerung, die im Untergrund an Johannes Hus und seinen Lehren festhielt, auch wenn man seine Verehrung mit dem Kult des hl. Johann von  Nepomuk ersetzte.

 

Der Ansatz für ein gesamtösterreichisches, absolutistisch regiertes und koordiniertes Haus- und Staatsgebilde ist in der Regierungszeit Kaiser Ferdinands II. zu sehen. Im politisch-konfessionellen, militärischen und wirtschaftlichen Ringen der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts war der Prozeß so weit vorangetrieben, daß 1663 Kaiser Leopold I. Überlegungen anstellte, Österreich aus dem Heiligen Römischen Reich zu lösen und einen eigenen gesamtösterreichischen Staat zu bilden. Damals kam es nicht dazu: die Landesdefension gegen die Osmanen, mit denen ein Teil des ungarischen Adels paktierte, war vorrangig. Der Familienkonflikt mit Ludwig XIV. um das zu erwartende spanische Erbreich war ausgebrochen, die dynastische Kraft der Familie, ihre Zukunft durch das Ausbleiben von “männlichen Leibeserben” infrage gestellt.

 

In diesen Zeiten, als man in der Repräsentation den Rang der “Österreichische Sonne” vor dem französischen Apoll Ludwig XIV. behauptete und an spanischen Traditionen, an ihrer Sprache, an ihren Formen und Moden festhielt, nahm Kaiser Leopold I. Zuflucht zu seinem  Namenspatron, dem heiligen Babenberger Leopold III., den er 1663 zum Landespatron aller österreichischen Länder erhob, zu dem jährlich die österreichische Staatswallfahrt am 15. November nach Klosterneuburg pilgerte.

 

1675, als die Magnatenverschwörung in Ungarn überwunden und der Herzog Karl von Lothringen auf der Seite des Kaisers gegen Ludwig XIV. gesiegt hatte, weihte Leopold I. alle seine Länder dem Heiligen Joseph, dessen Kult im 16. und 17. Jahrhundert stark verbreitet  war.

 

Die großen Türkensiege in den beiden letzten Jahrzehnten des 17. Jahrhunderts leiteten die österreichische Großmachtstellung in Europa ein. Die  Stände Böhmens und Ungarns waren entmachtet, beide Königreiche aus Wahl- zu Erbkönigreichen geworden, 1701 setzte der Kampf um das spanische Erbe ein. Die Söhne Kaiser Leopolds I., Joseph und Karl, teilten in einem Geheimvertrag mit ihrem Vater den gesamten Hausbesitz. Die spanischen Länder, von den Bourbonen beansprucht, sollte Karl (III., VI.) erobern und beherrschen.

Mit dem Abschluß dieser Auseinandersetzung, die europäisch und unter englischem Weltherrschaftsdenken erfolgte, war auch die Grenze der habsburgischen Weltherrschaftsidee erreicht. Das spanische Erbe war zwischen Habsburgern und Bourbonen geteilt. 1713/14 waren die Spanischen Niederlande, jetzt Österreichische Niederlande, Parma und Piacenza, Neapel-Sizilien zu Österreich, Ungarn und Böhmen gekommen. Im Frieden von Passarowitz (1718) war das Banat, die kleine Walachei und ein Grenzstreifen im nördlichen Bosnien gewonnen. Die Österreichische Monarchie hatte  ihre größte Ausdehnung erreicht.

 

Die imperiale Repräsentation Karls VI., die symbolisch formulierten Ansprüche auf Spanien, der Triumph über die zwei Jahrhunderte Österreich bedrohenden Osmanen konnten das Problem der Dynastie, nämlich die Geburt von “männlichen Leibeserben” nicht lösen.

 

In der Pragmatischen Sanction, die am 19. April 1713 als Erbfolgeordnung Karls VI. vor seinen Räten verlesen wurde, legte der Herrscher fest, daß im Falle des Aussterbens im Mannesstamm, seine zu erwartenden Töchter  bzw. deren Nachkommen vor den Töchtern Josephs I., erbberechtigt waren.

Am Schluß dieser notariell beglaubigten Urkunde betonte der Kaiser Unteilbarkeit und Untrennbarkeit seiner Länder (“indivisibiliter ac inseparabiliter”). Diese Länder nahmen zwischen 1720 und 1722 die Pragmatische Sanction an: man verpflichtete sich zur Verteidigung  dieser Erbfolgeordnung.

 

Die Idee der Untrennbarkeit aller Länder hat als “Staatsgrundgesetz” den Einheitsgedanken – so Erich Zöllner – im Habsburgerreich vertieft: sie war Grundlage für die Entwicklung der Monarchia Austriaca zum souveränen Staat und zu seiner Herausentwicklung aus dem Heiligen Römischen Reich. Karl VI., der seine Länder und Königreiche als dynastischen Hausbesitz betrachtete, Stände und Landtage respektierte, brachte einen neuen Ton in die Beziehung von Land und Herrschaft, auch wenn es da und dort noch Protestanten- und Jansenistenertreibungen gab. Revolutionen waren zu vermeiden, die Niederlande und Ungarn “mit lib zu guberniren”.

 

Diesen Stil der Herrschaft formte Maria Theresia in unnachahmlicher Repräsentation aus, damals, als die Macht behauptet, der Staat modernisiert und das schwierige Werk der Staatsorganisation zu beginnen war. Die behutsame Verbindung von alter und neuer Gesellschaftsstruktur, die Schaffung eines neuen Adels zum Aufstieg des gebildeten Bürgertums durch  Verdienste um den Staat und die Alphabetisierung des Volkes bildete die Basis für die Ausformung des Österreichischen Menschen (Alphons Lhotsky). Die Instruktionen für Maria Theresias Söhne und Töchter waren die Grundlagen für das habsburgische Fürstenbild der kommenden Zeiten: sie forderten von den Familienmitgliedern Religiosität, vorbildliche Haltung als erste Bürger des Landes, Anpassung und Distanz, Noblesse, Familiensinn und dynastisches Selbstbewußtsein.

 

Nach dem Tod Franz Stephans von Lothringen (1765) formulierte Joseph II. seine Staatsideen. Man hatte sich damals von der Identifikation mit der Herrschaft im  mittelalterlichen Sinn gelöst. Der Staat erschien als souveränes Gebilde, als Organismus, dem der Fürst gegenüberstand. Ihm hatte er zu dienen, für die Wohlfahrt der Bevölkerung zu leben und mit Anspannung all seiner Kräfte zu arbeiten. In diesem Veränderungsprozeß verlor der Name “Haus Österreich” an Bedeutung. Die Dynastie bezeichnete sich als “Häuser Habsburg und Lothringen”, nach dem Tod Franz Stephans als “Haus Habsburg-Lothringen”. Sprach Maria Theresia bereits von der Krone als “Narrenhäubl”,  bagatellisierte Joseph II. die Kraft der Tradition. Er betrachtete die Kronen als Museumsstücke, die Zeremonien von Huldigung und Krönung als überflüssig. Denn der Gesellschaftsvertrag, wie ihn die englischen Philosophen als Herrschaftsgrundlage verstanden, war für Joseph II. ohnehin irreversibel.

 

In seiner Ambivalenz zwischen Volkswohlfahrt und Despotie trieb er die österreichische Staatsorganisation voran, zwang er den Völkern seine Reformen auf und erzeugte Identitätskrisen, die bis zu seiner Dethronisation als König von Ungarn führten. Die Säkularisation und das Toleranzpatent traumatisierten den Papst so gründlich, daß der Heilige Stuhl Österreich noch im Ersten Weltkrieg als vom praktischen Josephinismus regiert bezeichnete. Kaiser Leopold II. war noch intensiver als sein Bruder Joseph II. von den Ideen der aufgeklärten Staatsdoktrin und ihrer Tendenz zur Säkularisierung durchdrungen, jedoch in der Praxis vorsichtig und moderat. Er betrachtete das Volk als Gesetzgeber und gestand dem Herrscher ausschließlich nur mehr exekutive Gewalt zu. Vom Fürsten erlassene Gesetze bedurften der Zustimmung durch die Stände.

 

Utopisch wie die Staatideen der Aufklärung erwiesen sich diese Auffassungen Kaiser Leopolds II., die die Entstehung einer konstitutionellen Monarchie in Österreich ermöglicht hätten.

 

Französische Revolution und Napoleon I. lehrten, was die Volkssouveränität hervorbringen konnte. In diesen Prozessen, als sich Kaiser Franz II. gegen Napoleon wehren mußte und die Österreichischen Niederlande gegen Venetien eintauschte (1797), erwachte im österreichischen Volk der alte habsburgische Mythos. Am 12. Februar 1797 wurde erstmals in allen Wiener Theatern Haydns Kaiserhymne gesungen, in der er die Kirchenmelodie des pater noster zitierte und variierte. Napoleon, der sich als Nachfolger von Caesar und Karl dem Großen fühlte, bewegte die Künstler.

 

Seine Überwindung und die Festigung des alten Systems nach dem Wiener Kongreß veranlaßten Grillparzer zur großen Auseinandersetzungen über die Fragen von legaler und angemaßter Macht, über die Zusammenhänge von Moral, Recht und Autorität. Er bekannte sich in seinen Staatsdramen zur habsburgischen Dynastie, formulierte ihr Gottesgnadentum und sang das Lob des Österreichers. In den beginnenden Auseinandersetzungen, als Liberalismus und Nationalismus hervordrangen, beschwor er das österreichische Gesamtstaatsbewußtsein.

 

Mit der Auflösung des Heiligen Römischen Reiches, seiner “Abschaffung” durch Franz II. (I.) wurde die Idee des römischen Kaisertums auf das Habsburgerreich übertragen, die Hauskrone Kaiser Rudolfs II. offizielles Staatssymbol. Der Versuch, die alte römische Kaiseridee zur Ordnungsmacht Europas im 19. Jahrhundert zu erheben und mit dem Dreikaiserbündnis von Österreich, Preußen und Rußland eine Wiederholung der Französischen Revolution zu verhindern, scheiterte.

 

Die Dynamik trieb das 19. Jahrhundert in eine andere Richtung. Die Revolution von 1848 in allen drei Teilen des Kaisertums Österreich ausgebrochen, reklamierte und propagierte die politische Mitbestimmung des Bürgertums. Metternich und sein System waren gestürzt. Die Dynastie hielt sich trotz der Regierungsunfähigkeit Kaiser Ferdinands I. Der junge Franz Joseph erlebte zutiefst die politische Kraft des Militärs, dessen Uniform er in der Identifikation mit der Armee während seiner langen Regierungszeit niemals ablegte.

 

Die Bindung von Land und Herrschaft unter Franz Joseph unterlag verschiedenen Schwankungen: ein katholischer Absolutismus, das lehrte das Scheitern des Konkordates von 1855 war undurchführbar. Die Mißachtung der Eigenstaatlichkeit der alten Königreiche Ungarn und Böhmen erwies sich langfristig als staatsbedrohend. Als nach der Schlacht von Königgrätz 1866 das österreichische Kaisertum den Deutschen Bund verließ und die Idee des protestantischen Kaisertums die deutsche Nationalbewegung erfaßte, bewegte die Frage der österreichischen Mission Politiker, Journalisten, Historiker, Dichter, Bischöfe und Katholikentage. 1917 wurde sie von Hugo von Hofmannsthal als “österreichische Idee” gültig formuliert.

 

Die Verfassung der Österreichisch-ungarischen Monarchie stülpte 1867 die Organisation zweier Staaten über das Gefüge des in Jahrhunderten gewachsenen Völkerkonglomerats und irritierte die Beziehung von Land und Herrschaft. Trotz Annahme von Pragmatischer Sanction und habsburgischem Gottesgnadentum durch die Parlamente Österreichs und Ungarns blieb die Frage des böhmischen Staatsrechtes und die Sprachenfrage seit 1867 ungelöst. Sie provozierte die antidynastische tschechische Nationalbewegung, die nach  Wiederherstellung der tschechischen Staatlichkeit strebte. Analog dazu tendierte die deutsche Nationalbewegung in Richtung Preußen. Sie propagierte mit Los-von-Rom und Los-von-Habsburg ein Mitteleuropa unter den Hohenzollern.

 

Ungarn, seit der Niederschlagung der Revolution von 1849 traumatisiert, blieb in seiner Struktur  ein mittelalterliches Königreich mit Ständerechten. Der magyarische Chauvinismus, der Magnaten und Gebildete verband, strebte wie in alten Zeiten eine Verselbständigung und Lösung von Österreich an. Die große Leistung Kaiser Franz Josephs I. lag bei all den Unzulänglichkeiten seiner Außenpolitik in seiner Fähigkeit zum Kompromiß, in seiner Repräsentation des Gesamtstaates, zu dessen Identifikationsfigur er während seiner 68 Regierungsjahre geworden war.

 

Die Krisen am Ende des 19. Jahrhunderts hatten auch die habsburgische Dynastie erfaßt: der Tod des Kronprinzen Rudolf in Mayerling, ein Signum für die Identifikationskrise innerhalb der Familie, bewirkte die Rückbesinnung auf die habsburgische Tradition und auf die Maßstäbe ihres Fürstenbildes, das Wiederaufleben des Gottesgnadentums, die Abkehr vom “Geplänkel” mit den Ideen der Französischen Revolution, die Hinwendung zum r”mischen Papst.

 

Das 60-j„hrige Regierungsjubiläum Kaiser Franz Josephs (1908) und der Eucharistische Kongreß in Wien (1912) brachten im Fest Größe, Bedeutung und Selbstverständnis von Land und Herrschaft zur Repräsentation: das christlich-europäische Bollwerk gegen den polymorphen, von der Gottlosenbewegung erfaßten Osten. Leider war vieles nur mehr Fassade, hinter der der Nationalitätenkonflikt verschiedentlich eskalierte. Friedrich Funder, Chefredakteur der Reichspost, apostrophierte im Nekrolog erschüttert den in Sarajewo 1914 ermordeten Thronfolger Erzherzog Franz Ferdinand als “neuen Konstantin”, als Verkörperung des Heiligen Georg, des miles Christianus. Gestalten, mit denen sich Friedrich III., Maximilian I. und Kaiser Leopold I. identifiziert hatten.

 

Die Bestimmung von Erzherzog Carl Franz Joseph Kaiser von Österreich und König von Ungarn zu werden, war längst vorhergesagt. Sie wurde vom päpstlichen Delegaten bei der Hochzeit in Schwarzau 1911, in der  von Pius X. eigenhändig geschriebenen Hochzeitansprache  wiederholt.

 

Die Beziehung von Land und Herrschaft war während des Ersten Weltkrieges, den die Völker der Donaumonarchie jubelnd begonnen hatten, um das Ansehen von Dynastie und Reich zu wahren, von seiner apokalyptischen Wirkung bedroht. Im Waffenbund mit dem Deutschen Reich, hatte Kaiser Franz Joseph mit der Übertragung des Oberbefehls über die k.u.k. Armee an Kaiser Wilhelm II.  Souveränitätsrechte geopfert. Er hatte seinem Nachfolger eine Situation hinterlassen, die ihn in die Ambivalenz von Deutschnationalen und Nationalslawen, von ungarischen Magnaten und Sozialisten, von Internationalisten und Massonen im Kampf um die Existenz des Reiches stellte.

 

Es wäre mit einem Friedensschluß zu retten gewesen. Dieser Frieden, den der junge Herrscher seit Kriegsbeginn angestrebt hatte und den er mit Hilfe des Papstes und seiner bourbonischen Verwandtschaft herbeizuführen suchte, scheiterte an Doppelstrategien. Deutschland war zu keinem Verständigungsfrieden bereit, Österreich-Ungarn konnte sich vom deutschen Waffenbund nicht mehr lösen, was die Entente als Voraussetzung für einen Friedensschluß forderte. Der deutsche Unterseebootkrieg provozierte den Kriegseintritt Amerikas. Er schuf Voraussetzungen für die amerikanische Mission, Europa zu demokratisieren. Die Leiden des Krieges lösten das Band von Herrscher und Volk, deutsche und gegnerische Propaganda nahmen den jungen Herrscher zur Zielscheibe, um Österreich-Ungarn und seine Identifikationsfigur zu vernichten. Der Kaiser war den Deutschen gegenüber nicht gefügig genug gewesen, er wollte das Habsburgerreich nicht zu einem deutschen Vasallenstaat herabsinken lassen.

 

Im blutigen Ringen des Krieges arbeitete man in Wien fieberhaft an den Plänen zur Föderalisierung der Gesamtmonarchie, um die Forderungen der 14 Punkte Wilsons zu erfüllen. Diplomatische Verhandlungen in der Schweiz, ohne Wissen des österreichischen Außenministers geführt, erzeugten die Sixtusaffaire. Die Veröffentlichung französisch-österreichischer Geheimverhandlungen, um zu einem Friedensschluß zu kommen, gaben den Ausschlag zum Kurswechsel der amerikanischen Politik. Da Österreich-Ungarn gezwungen war, sich nach der Sixtusaffaire mit einer Militärkonvention an Deutschland zu binden, unterstützte Amerika die nationalslawischen Exilregierungen, die Forderungen der “unterdrückten Völker”, die sie in den Beschlüssen des Kongresses von Rom (Mai 1918) erhoben.

 

Der amerikanische Außenminister Robert Lansing formulierte zwischen Mai und September 1918 die österreichischen Todesurteile, die Zerteilung des seit Jahrhunderten gewachsenen und bewährten mitteleuropäischen Reiches in Nationalstaaten. Der Krieg tat dann das übrige. Parallel zu den fieberhaften Reformbemühungen in Österreich-Ungarn, um die Forderungen Wilsons zu erfüllen und eine Donaukonföderation zu errichten, war man sich im amerikanischen Senat einig, daß man keinen verfrühten Friedensschluß herbeiführen wollte (9. Oktober 1918). Wenige Tage später zerrissen die Tschechen die “habsburgischen Ketten” und proklamierten ihren Nationalstaat mit der Absage an Gottesgnadentum und göttliches Recht der Könige.

 

Dann brach die Revolution in Ungarn aus, die den Waffenstillstand unumgänglich machte und dem Bolschewismus die Tore öffnete. In Österreich hatten sich Deutschnationale und Sozialdemokraten zur Kreierung einer Republik verbündet, Christlich-Soziale mit diplomatischen Formulierungen den Kaiser zum Rückzug von den Regierungsgeschäften bewegt und dann den Anschluß an die deutsche Republik proklamiert. Kelsen bestätigte den Verfassungsbruch und die Entstehung der Republik Deutsch-Österreich als revolutionären Akt. Kaiser Karl war nicht gewillt abzudanken. Man ließ ihn und seine Familie in Eckartsau ungenügend geschätzt, obwohl man vom Plan bolschewistischer Attentate informiert war. Damit erzwang man die Ausreise der kaiserlichen Familie in die Schweiz unter englischem Schutz. Wie Karl Renner in seiner Rede vor der Verlesung der Habsburgergesetze in der konstituierenden Nationalversammlung am 27. März 1919 festhielt, sollte mit  Landesverweisung und habsburgischem Vermögensentzug die Errichtung einer Donaukonföderation, die Kaiser Karl sehr weit vorangetrieben hatte, verhindert werden.

 

Die Kronen waren für Kaiser Karl nicht käuflich, auch als man  während des Asyls in der Schweiz und des Exils in Madeira versuchte, ihm goldene Brücken zu bauen, um die Herrschaft in den Ländern der ehemaligen österreichisch-ungarischen Monarchie wiederherzustellen.

 

Durchdrungen vom Glauben an die unzerstörbare Lebenskraft Österreichs arbeitete er in den letzten Monaten von Madeira an dem Verfassungsentwurf zur Errichtung einer Donaukonföderation, deren Konzept er dem Papst verschiedentlich entwickelt hatte. Der Kaiser starb, sich bewußt für seine Völker und für ihr gemeinsames Schicksal opfernd, im großen Stil der Dynastie, in der Verwirklichung des abendländischen Königsgedankens, der dem Herrscher zum Maßstab setzte: Imago Dei und Typus Christi zu sein.

 

Österreich war zum mitteleuropäischen Kleinstaat in mittelalterlichen Grenzen wie zur Zeit Rudolfs IV. depraviert. Es zweifelte an seiner Lebensfähigkeit und rang um seine Identität. Die Dämonen des Jahrhunderts standen an seinen Grenzen.

 

Note biographique:

Univ.-Prof. Dr. Elisabeth Kovács, Institut für Geschichte, Universität Wien, Mitglied der Historikerkommission für die “Causa beatificationis Servi Dei Caroli e Domo Austriae”.