ANHANG 2 – CZERNINS POSTSCRIPTA

Nach den Friedensverträgen von 1919 setzte in Deutschland und Österreich die Diskussion über Ursachen und Verlauf des verlorenen Krieges sowie über die Kriegsschuld ein. Sie wurde in der Presse, in Broschüren und Memoiren, aber auch im deutschen parlamentarischen Untersuchungsausschuß geführt. Die Memoiren, aus dem Bewußtsein verfaßt, welthistorische Vorgänge überliefern zu müssen, dienten der Rechtfertigung eigenen Handelns; sie haben subjektiven Charakter. Einst “hohe Herrschaften”, wie Prinz Sixtus von Bourbon von Parma, beschäftigten dafür Journalisten. Von der Presse ungeheuer verleumdet. war der Prinz für entsprechende Honorare von Zeitungsherausgebern bereit, seine Rolle bei dem österreichisch – ungarischen Friedensschritt öffentlich bekannt zu geben. “L’Offre de paix séparée” dokumentiert historisch einwandfrei das österreichische Friedensangebot vom Frühling 1917. Im Jänner 1920 in den französischen Zeitungen L`Opinion und L`Illustration publiziert, erregte es enormes Aufsehen, wurde doch Czernins Mitwirkung an diesem Friedensversuch aufgedeckt, die der einstige Minister beharrlich leugnete. Graf Czernin, befürchtete ähnliche Enthüllungen aus der Umgebung Kaiser Karls (vermutlich durch Albin Schager von Eckartsau), weshalb er sich zu Gegendarstellung und Dementi entschloß. Er publizierte in der Neuen Freien Presse am 17. Jänner 1920 seine Faktenversion und versuchte über den Grafen Nikolaus Revertera von Kaiser Karl ein zweites mal schriftlich zu bekommen, daß er, der Kaiser, bei dem Friedensangebot Österreich – Ungarns an Frankreich 1917 “[…]nicht im Einvernehmen mit dem Außenminister[…]” gehandelt (und die Verfassung gebrochen ) hätte. Widrigenfalls würde Czernin Dokumente veröffentlichen, die den Kaiser belasteten. Kaiser Karl wies diese Zumutung ab, woraufhin der ehemalige Minister den Grafen August Demblin um die Verfassung einer Broschüre ersuchte, und Dokumente zur Sixtusaffaire von 1918 zur Verfügung stellte. Czernin wollte die Arbeit Demblins zuerst im Wiener Heroldverlag herausbringen. Nachdem das Gespräch mit dem Chefredakteur der Reichspost, Friedrich Funder, negativ verlaufen war, erschien “Czernin und die Sixtus – Affaire” in München.
Czernin hatte das Typoskript “Aktenmässige Zusammenstellung der Brief – Affaire 1917-1918” im Jänner 1920 angefertigt und es mit dem Vermerk “Streng Geheim !!” versehen. Demblin “frisierte” dieses ihm zur Verfügung gestellte Material in Sinn und Verteidigungsabsicht des Betroffenen und ergänzte es mit eigenen Tagebuchaufzeichnungen. Erst vor einigen Jahren konnte sein Enkel, Alexander Demblin, “Dichtung von Wahrheit” in der Broschüre des Großvaters trennen und die Transformation historischer Fakten in dem Plädoyer für den einstigen Minister nachweisen.
Seit 1994 und 1996 bewahrt das HHStA in Wien einen Karton mit Nachlaß- Papieren von Czernin und Demblin. In diesem Wiener Czernin NL finden sich drei Verteidigungsschriften, in denen der einstige Minister seine veröffentlichte Version der geheimen Friedensverhandlungen durch Prinz Sixtus aus 1917 und die von ihm selbst entfesselten Sixtus – Affaire von 1918 überlieferte. Wir bezeichnen diese Verteidigungsschriften als Typoskript A, B, C.
Typoskript A: ” Akenmässige Zusammenstellung der Brief -Affaire von 1917 – 1918 ” war Grundlage für Demblins Broschüre. Die dort zitierten und adaptierten Originaldokumente dienten als Beleg für die Position Czernins.
Typoskript B : Rechtfertigungsschrift Czernins vor dem Ordenskapitel des Goldenen Vlies von 1928 mit dem Vermerk: “Streng geheim. Nur für die Herren des Komitees.” Der Vliesritter begründet darin seine Haltung gegenüber Kaiser Karl und der Dynastie.
In zwei Exemplaren vorhanden; ist ein Exemplar mit Marginalien zum Prozeßverlauf (vermutlich in der Handschrift von Polzer – Hoditz) versehen. In Kapitel III “Die Fälschungen des Prinzen Sixtus” sind Originaltexte aus L` Offre de paix séparée korrekt zitiert.
Typoskript C: An den Ehrenrat des Jockey – Club[vermutlich Ende 1920]. Klageschrift Czernins gegen Graf Adalbert Sternberg Dieses Konvolut beinhaltet die Privat – Fehde Adalbert Sternbergs mit Czernin und u.a. auch Punkte der Clemenceau -Sixtus – Affaire sowie Passagen über das kaiserliche Ehrenwort. Wegen der Wiederholung der Kontroverse und anderer, die Clemenceau – Sixtus – Affaire nicht betreffende Streitpunkte verzichten wir, dieses Typoskript genauer zu behandeln.
In diesem Wiener Nachlaß Czernins liegen auch Papiere seines Verfahrens gegen Polzer – Hoditz vor dem Jockey – Club von 1928 wegen Ehrenbeleidigung, das mit einem Vergleich endete.
Um in diesen Schriften das Wirrwar von Fakten, Manipulationen und falschen Schlüssen zu durchleuchten, wollen wir in thesenartiger Form den Standpunkt Czernins zeigen. Der kritische Sachkommentar heutiger Forschung ist in kursiv spiegelbildlich dazu gesetzt.

Typoskript A
I. Czernin betont, nur den allgemeinen Frieden und keinen Separatfrieden angestrebt zu haben. Die Prinzen Sixtus und Xavier seien mit seiner vollen ministeriellen Deckung nach Wien gekommen.

II. Erst die Pariser Enthüllungen von 1920 hätten ihn von der Schweizer Unterredung der Herzogin von Parma mit ihrem Sohn im Jänner 1917 und über Erdödis Kurierdiensten informiert.

III. Czernin wollte bei seinem Amtsantritt die Zensur der mündlichen und schriftlichen Kontakte der Familie Parma anordnen, was Kaiser Karl ablehnte. Der Kaiserbrief an den Schwager Sixtus vom 24. März 1917 stünde im Widerspruch zu Czernins Auffassung seines Ministeramtes.

Tatsächlich hatte das kaiserliche Autograph keine ministerielle Gegenzeichnung, es war die erweiterte Endfassung eines Brief Entwurfs, den Czernin besessen hatte. Czernins Äußerung von der Ministerverantwortlichkeit steht im Widerspruch zur österreichisch – ungarischen Verfassung. Der Außenminister war dem Kaiser, nicht der Kaiser dem Minister verantwortlich. Doch war kein kaiserlicher Regierungsakt ohne ministerielle Gegenzeichnung gültig. Deshalb versuchte Czernin den zweiten Sixtusbrief, der diese Gegenzeichnung besaß, zu eliminieren und das kaiserliche Autograph mit Hilfe des “falschen Ehrenwortes” als private Unternehmung des Kaisers hinzustellen. In dem Hugh Gespräch aus Bukarest hatte Kaiser Karl die Formulierung vom Privatbrief für das öffentliche Dementi angegeben.
Czernin behauptete, daß er weder vom italienischen Friedensangebot im Mai 1917, noch von den Verhandlungsergebnissen des Prinzen Sixtus mit Ribot, Poincaré und Lloyd George unterrichtet wurde. Dem zweiten Besuch von Sixtus im Mai 1917 zugezogen, wollte er mit Berlin so verhandeln, daß man zum allgemeinen Frieden käme. Czernin zitierte auch sein Aide memoire vom Mai 1917, das Prinz Sixtus, um die Gespräche besser in gang zu bringen, „frisiert“ hatte. Angeblich wollte der Minister zuerst Garantien für die Annullierung bestimmter Punkte des Londoner Vertrags erhalten, dann plante er Gespräche mit dem Bundesgenossen. Er unterstellte Kaiser Karl die Absicht, die Aktion Sixtus vor Wilhelm II. geheimzuhalten. Erst nach Czernins Einspruch sei die Information des Bundesgenossen erfolgt Die Behauptung ist unrichtig, denn die Informationen, die Kaiser Karl Prinz Sixtus nach seinem zweiten Wien Besuch in die Schweiz nachsandte, stammten aus dem Außenministerium.
Graf Wedl bestätigte 1922 vor dem parlamentarischen Untersuchungsausschuß, im Frühling 1917 über die österreichisch – französischen Gespräche informiert worden zu sein.
Scherer – Grunewald publizierten das Telegramm, das die Kenntnis der Vorgänge durch Czernin und Bethmann Hollweg dokumentiert .
Kaiser Karl hatte im Februar 1917 mit Kaiser Wilhelm II. über die Kompensation für Elsaß – Lothringen durch das österreichische Galizien gesprochen, Czernin konferierte darüber im März 1917 mit Bethmann Hollweg und informierte ihn im Mai von der Friedensmöglichkeit mit der Entente.

IV. Ende August 1917 seien Indiskretionen über Czernins Memoire vom 12. April 1917 bekannt geworden. In nur drei oder vier Exemplaren ausgefertigt und streng geheim wäre es bei einer Versammlung der Zentrumspartei in Frankfurt öffentlich verlesen worden, danach in Zeitungen der Entente erschienen. Der ungeheure Verrat solcher Staatsgeheimnisse mitten im Krieg belaste den Kaiser. Er hätte zuerst geleugnet, Matthias Erzberger, den Führer der Zentrumspartei, überhaupt empfangen zu haben. Kaiser Karl gab seinen Irrtum erst zu, als der Empfang Erzbergers mit dem Audienzzettel bewiesen war: Der Kaiser erklärte, dieses Memoire zusammen mit anderen Papieren irrtümlich an Erzberger geschickt zu haben. Damals wollten Czernin und Gottfried Hohenlohe demissionieren, weil der Kaiser ihnen wissentlich und absichtlich die Unwahrheit gesagt hätte. Der Kaiser habe Czernin versprochen, niemals wieder hinter seinem Rücken zu handeln. Czernin behandelte einige Wochen später diese Angelegenheit ausführlich(!) mit Reichskanzler Hertling. Er folgerte kryptisch:”[…]eine verfassungsmäßig unverantwortliche Persönlichkeit aus der Umgebung des Kaisers hat den Bericht an Erzberger übermittelt, der Kaiser hat das auf sich genommen[…].”Nach Czernin war “[…]der Erzberger- Zwischenfall der letzte Grund, welcher die Explosion der im Frühjahr 1918 hervorrief.[…]”
Dieses Memorandum von Kaiser Karl und Graf Czernin nach dem ergebnislosen Besuch in Bad Homburg verfaßt, betonte, daß Österreich- Ungarn nur mehr bis in den Herbst 1917 Krieg führen könnte. Kaiser Karl sandte es Wilhelm II., um ihn zum Frieden zu motivieren.

Kaiserin Zita berichtete, Kaiser Karl hätte die Denkschrift irrtümlich zusammen mit anderen Papieren an Erzberger geschickt, dieser habe sie als allerhöchste Information betrachtet, jedoch absolut diskret gehandelt.
Dazu die Version Erzbergers: Kaiser Karl ließ über Hohenlohe fragen, wie Erzberger in den Besitz des Dokumentes gekommen sei und ersuchte, ihn nicht aus Familienrücksichten zu schonen. Erzberger, der während seiner Friedensmissionen wiederholt bei der Herzogin von Parma in Schwarzau oder in Wien abgestiegen war, gab kein Geheimnis preis. Er ließ Kaiser Karl über P. Cölestin Schwaighofer mündlich informieren. Nach der Version seines Tagebuchs hatte Erzberger das Memoire Czernins in Berlin gesehen und während seines Aufenthaltes in Wien im April 1917 geheim eine Kopie erhalten.

Aus Czernins Darstellung wird plausibel, warum er mit September 1917 August Demblin zum persönlichen Vertreter am kaiserlichen Hof bestellte. Damals wechselte der Minister seinen politischen Kurs, wandte sich gegen die Friedenspolitik Kaiser Karls und solidarisierte sich mit den politischen Zielen Kaiser Wilhelms II. Dieses Doppelspiel dürfte den Minister selbst belastet haben, wiederholt dachte er an seine Demission. Wir sehen im Hochspielen der “Erzberger- Angelegenheit” den Versuch Czernins, seinen politischen Kurswechsel und die darin implizierte Unloyalität gegenüber Kaiser Karl zu verdecken und zu motivieren.

V. Der “Inzidenzfall Erzberger” habe das Vertrauen Berlins zur Donaumonarchie stark erschüttert. Man vermutete eine nichtamtliche “Nebenregierung” und “[…]die weitere Preisgabe wichtiger militärischer und politischer Geheimnisse an unsere Gegner[…].” Erzberger hätte das streng geheime Memoriale vom 12. April 1917 illegal erhalten und fahrlässig gehandelt. Diese österreichische Zustandsbeschreibung sei in die Ententepresse gekommen und hätte die Friedenschancen sehr vermindert

Tatsächlich war Erzberger am 22. und 23. April 1917 in Österreich und hatte, das bewußte Memorandum geheim, vermutlich mit Wissen Kaiser Karls, bekommen. Er hatte während seines Aufenthaltes die Parma Damen, Czernin, Kardinal Piffl und den Wiener Bürgermeister Weiskirchner getroffen Am Sonntagabend, den 23. April, war Erzberger um ½ 6 Uhr in Audienz bei Kaiser Karl in Laxenburg. In seinem Bericht findet sich eine ausgezeichnete Charakteristik Kaiser Karls, seiner Friedensabsichten, seiner Beziehung zu Papst Benedikt XV und seine Kritik an Nuntius Valfrè di Bonzo. Das Bild Erzbergers von Kaiser Karl ist diamentral der Schilderung Czernins entgegengesetzt.
Als die Entente Presse im August 1917 vom schlechten Zustand Österreichs berichtete und damit den Sieg der Entente in Betracht zog, machte Czernin Erzberger dafür verantwortlich. Der Bericht Erzbergers an das Auswärtige Amt vom 15.September 1917 ergab, daß auch die DOHL dieses bewußte Memoriale kannte, es der rheinisch- westfälischen Zeitung zugespielt und auf diesem Weg in die gegnerische Presse gebracht hatte. Im übrigen war Österreichs schlechte Versorgungslage im Frühjahr 1917 in der Schweiz durch Österreicher bekannt geworden.
Das deutsche Mißtrauen hätte sich ebenso wie der “Glaube an unseren bevorstehenden Abfall von Deutschland bei unseren Gegnern” vergrößert! Vielleicht hätte Frankreich auch noch andere Nachrichten erhalten, Czernin könne es nicht beweisen, der Kaiser würde Gerüchte aus Frankreich dementieren.
Doch Kaiser Karl sei eben vergeßlich, er hätte seine Briefe an Frankreich ja auch vollkommen vergessen und sogar die Rede Czernins vor dem Wiener Gemeinderat (2. April 1918) nicht nur gebilligt, sie vielmehr gewünscht! Er, der Kaiser, hätte Czernins Provokation vorhersehen müssen. “[…] Ein Angriff auf Clemenceau war mit dieser Rede gar nicht beabsichtigt, sondern erwähntermassen ausschliesslich die Betonung der Festigkeit unseres Bünsnisses.[…]” Im Frühjahr 1918 hätte Czernin nach Gerüchten über die bevorstehende Trennung Österreich – Ungarns von Deutschland Kaiser Karl auf deren kriegsverlängernde Wirkung hingewiesen. Der Kaiser hätte dies zugegeben und deshalb die Form der öffentlichen Enuntiation mit dem Minister besprochen. Er war unwiderruflich entschlossen, für die Verteidigung des deutschen Besitzes ebenso zu kämpfen wie für den des eigenen Reiches“.
Die vergeblichen Gespräche Armands mit Revertera hätten den Beschluß zur Rede vor dem Wiener Gemeinderat hervorgerufen, der von Kaiser Karl und Czernin gemeinsamen gefaßt wurde. Der Kaiser habe die Rede kontrolliert und sanktioniert und danach seine Bündnistreue betont. Czernin schob das “Debakel seiner Gemeinderatsrede” auf die Vergeßlichkeit des Kaisers und wiederholte, der Kaiser hätte die Provokation Clémenceaus vorhersehen müssen.

VI. Darstellung der Armand – Revertera Verhandlungen von Juni 1917 bis März 1918 nach Reverteras Berichten. Czernin gab seine irrtümliche Behauptung, die Sondierung Reverteras mit Armand sei von Clemenceau lanciert worden, zu.

VII. Czernins Rede hätte Clemenceau zwar provoziert, jedoch den von Czernin nicht gekannten Kaiserbrief und das kaiserliche Desinteressement an Elsaß – Lothringen enthüllt. Clemenceau hätte die Wahrheit gesagt.

Eine Anspielung auf den Czernin nicht bekannten Friedensversuch von Wilhelm Hevesy von Heves ?

Ursache für die Rede Czernins am 2. April 1918 war nicht das ergebnislose Gespräch Revertera – Armand, wofür Czernin verantwortlich war. Der Minister selbst wollte seine prodeutsche politische Position, den Diktatfrieden von Brest Litowsk und die beginnende Westoffensive verteidigen. Seine innenpolitische Stellung war wegen der Empörung der Polen über die Abtretung des Cholmer Landes beim Friedensschluß mit der Ukraine und durch die Geheimgespräche von Lammasch mit den USA ins Wanken geraten. Schließlich wollte Czernin psychologisch den Kaiser zum zeitweiligen Rückzug auf die Regierungsgeschäfte bestimmen und durch einen Regenten ( Eh Friedrich oder Eh Eugen) selbst regieren. Tatsächlich hatte er die Rede selbst verfaßt und sie Kaiser Karl vorgelegt. Dieser hatte sie entweder nicht , oder nur diagonal, sicherlich jedoch verspätet gelesen. Dazu auch die Tagebucheintragung Baernreithers vom 12. April 1918: Man kann für die Clemenceau – Sixtus – Affaire nicht Czernins ungezügeltes Temperament verantwortlich machen.

Dieses Friedensgespräch war vor der Ära Clemenceaus begonnen worden.

Vgl. unsere Bemerkung zu Punkt III oben.

VIII. Vor der Clemenceau – Affaire klärte sich die Frage der „Nebenpolitik“. Als Beweis für die „Nebenpolitik“ der Familie Parma diente Czernin die sogenannte Café- Cacao- Angele genheit.

“[…] Der Kaiser sah meinen Standpunkt ein, war jedoch ausserstande, sich durchzusetzen.[…]Ich stellte schliesslich das Verlangen, dass sämtliche Mitglieder der Familie Parma für Kriegsdauer das Gebiet der Monarchie verlassen möchten[…]”

IX. Czernin rekonstruierte die Ereignisse vom 2. bis 17. April 1918 nach den vorliegenden Kommuniqués, dem Hughes Streifen und den kaiserlichen Telegrammen.
Der ehemalige Minister behauptete, das kaiserliche Ehrenwort nicht erpreßt zu haben; es sei der Beweis, “[…]daß ich von der Existenz des Briefes nicht gewußt habe […]”. Kaiser Karl hätte den Plan, sich von den Regierungsgeschäften zeitweise zurückzuziehen und Erzherzog Eugen die provisorische Regentschaft zu übertragen, freudig aufgegriffen und erklärt,”[…]er sei bereit, für einige Zeit vollständig zu verschwinden, er werde aber nicht nach Wartholz gehen, sondern irgendwo ganz abgeschieden ins Gebirge[…].” Am Morgen des 14. April sei er, Czernin, von Kaiserin Zita empfangen worden. Sie war kategorisch gegen die Demission des Kaisers und vertrat die Auffassung, man müsse die Sache auskämpfen.
Demblin unterbreitet sie Czernin am 19. März 1918 nach einer Anfrage des Botschafters Prinz Fürstenberg aus Madrid und recherchierte dann. Nach Demblins unbelegter Angabe stand hinter dem Wunsch der Parma Damen eine größere Ladung Café und Cacao von Algerien über Spanien nach Triest zu verschiffen und diese für die breite Bevölkerung unerschwinglichen Güter zu Wohltätigkeitszwecken billig zu verkaufen, ein gigantisches Schiebergeschäft. Czernin machte dem Kaiser, der innerhalb der Familie gegen derartige Kriegsgeschäfte streng vorging, angebliche Vorstellungen über die Rufschädigung durch die hohe Verwandtschaft
Demblins amtlicher Bericht an Czernin widerlegt diese Behauptung und dokumentiert das unerträgliche Mißtrauen, das beide dem Kaiser entgegen brachten. Im übrigen dürfte diese Café Cacao Angelegenheit eine innerfamiliäre Revanche an der Kaiserin wegen deren strenger Haltung gegenüber den unlauteren Kriegsgeschäften einiger Erzherzoge gewesen sein. Die Zeitungen meldeten falsch in der Tendenz Czernins, die Herzogin von Parma hätte sich in ihr Schweizer Schloß Wartegg zurückgezogen.
Hatte der Minister erkannt, daß ihm der Kaiser nicht mehr vertraute und deshalb die “Nebenregierung” konstruiert?

Die Audienzen Czernins bei Kaiser Karl sind fehlerhaft datiert und verwechseln Wiedergegebenes.

Das steht gegen die Überlieferung Demblins, Kaiserin Zitas und des Kaisers. Czernin versetzt diese Unterredung, die er mit dem Kaiser und nicht mit der Kaiserin hatte, vor den Beginn des Kronrates, nach Demblin fand sie während des Kronrates in einer Unterbrechung der Sitzung statt. Kaiser Karl hatte die Zumutung Czernins zum zeitweiligen Rückzug von den Regierungsgeschäften zum zweiten Mal scharf zurückgewiesen, was Czernin zur Demission veranlaßte.

Typoskript B .

I. Czernin betrachtete sich als Opfer der Malvolenz der Parma Damen [die Kaiserin und ihre Mutter ]und übertrieb die Bedeutung der Café – Cacao – Angelegenheit

II. Der Vorwurf, Czernin hätte von S[einer] M[ajestät] ein falsches Ehrenwort erpreßt und ihn dann wissentlich dessen geziehen, sei eine der niederträchtigsten Verleumdungen von Polzer und Sternberg. Sie hätten sie in das Ordenskapitel des Goldenen Vlieses getragen und die historischen Fakten vermischt. Czernin hatte keine Möglichkeit, sich öffentlich zu verteidigen. Aus Unwissenheit und beispielloser Unkenntnis der Politik habe die Umgebung des Kaisers sein Vertrauen mißbraucht. Dazu: Typoskript A,VIII.

Dazu die inhaltlich übereinstimmenden Berichte von Kaiser Karl und Kaiserin Zita, und Friedrich Funder
Zielscheibe dieser Beschuldigungen ist die Herzogin von Parma, bei der der Apostolische Nuntius angeblich häufig zu Gast gewesen sei. Dort hätte er militärische Geheimnisse erfahren und sie dann verraten.

Czernin gab zu, das kaiserliche Ehrenwort Wedl und Baernreither gezeigt zu haben, um den angeblichen Verrat an Deutschland zu dementieren.
Erst Sixtus von Bourbon hätte mit dem von ihm fotografisch veröffentlichten kaiserlichen Autograph das falsche Ehrenwort Kaiser Karls ans Licht gebracht(!).
III. Czernin übernahm aus „L’Offre de paix séparée“ die sogenannten Fälschungen des Prinzen Sixtus, die dieser selbst publiziert hatte.

IV. Behandelt die Bereitschaft Czernins, sich in den Nationalrat der Republik Deutsch- Österreich wählen zu lassen. Czernin habe seinen Eid auf „Kaiser und Vaterland“ nicht gebrochen. Was hätten Seipel, Mensdorff und hunderte von Beamten gemacht, „[…]die in der Kaiserzeit gedient haben und die jetzt dienen, […]“?

V. Czernin habe in seinem Buch über den Weltkrieg, den Kaiser nicht angegriffen.

VI. Czernin habe mit der Broschüre Demblins gar nichts zu tun und ihm auch kein Material geliefert.
Faktum ist, daß Valfré di Bonzo über die Herzogin von Parma versucht hatte, auf die Zeremonie zur ungarischen Königskrönung Einfluß zu nehmen. Ein weiteres Faktum ist der Privatbrief Valfrés an seine Familie vom Beginn 1917, indem er sich über die schlechte Lebensmittelversorgung Wiens äußerte. Dieser Brief war in der Entente – Presse abgedruckt worden und Valfré hatte damit das Vertrauen in Wien verloren.

Tatsächlich charakterisierte er ihn als ratlos, schwächlich und ohne Konzeption:. „Der Kaiser verhielt sich mehr schweigend. In seiner Umgebung zieht der eine rechts, der andere links; wir gewinnen dabei nichts bei der Entente und verlieren immer mehr Vertrauen in Berlin. Wenn man zum Feinde übergehen will, so möge man es machen[…], aber fortwährend Verrat zu posieren, ohne ihn durchzuführen, kann ich nicht für eine kluge Politik halten.“

Seine Briefe an Demblin vom 25.2. oder 3.3. und 9.3. 1920 entlarven Czernin dieser Lüge.

VII. Czernin bekennt sich bedingungslos schuldig, über S[eine] M[ajestät] respektlos gesprochen und ihn schlecht behandelt zu haben. Er verteidigt sich mit dem Hinweis, dieses im Gegensatz zu anderen Vliesrittern niemals öffentlich getan zu haben.

VIII. Er habe im Jänner 1920 nicht versucht, Kaiser Karl über den Grafen Nikolaus Revertera zu erpressen. Dazu hätte sich Revertera niemals hergegeben. Czernin hätte Kaiser Karl gebeten,”[…]er möge die Wahrheit über die Briefaffaire veröffentlichen lassen. S[eine] M[ajestät] lehnte dies ab und damit war meine Aktion gescheitert und die Angelegenheit, soweit ich in Betracht kam, beendet.[…] Davon zu sprechen, dass sich Revertera für einen < Erpressungsversuch > an S[einer] M[ajestät] hergeben konnte, ist Wahnsinn.[…]Trotzdem wäre es sicher besser gewesen, ich hätte die Demarche unterlassen, da sie Polzer und Sternberg neuen Stoff für ihre Lügen geboten hat.“

Vgl. dazu UR, Nr. 190, Nr. 194.

In Typoskript A und Typoskript B stimmt die Argumentation Czernins in folgenden Punkten überein:
• der Außenministers kennt das kaiserliche Autograph an Prinz Sixtus vom 24. März 1917nicht, der Kaiser beging Verfassungsbruch.
• der Nachweis der “Fälschung des Prinzen Sixtus,”
• der ” Inzident Erzberger,”
• die Beschuldigung der Familie Parma,
• die Stellungnahme zum kaiserlichen Ehrenwort.
Czernin entlastet sich bei der Sixtus – Affaire mit dem sogenannten Verfassungsbruch des Kaisers. Er wäre für Czernins spektakuläre Rede verantwortlich und hätte deren negativen Folgen vorhersehen müssen.
Die Ursachen und Möglichkeiten von “Nebenregierung und Nebenpolitik” der Familie Parma lagen in der Person des Kaisers, in seiner Überforderung zum Regierungsgeschäft, in Regierungsunfähigkeit und Vertrauensseligkeit. Czernin beschrieb verschiedentlich den Kaiser als schwach und als Lügner, als jenen, der nach Frieden “winselt”, als Instrument der herrschsüchtigen Kaiserin und ihrer Familie und als Verräter am deutschen Waffenbund. Mit dem “Inzident Erzberger” verdeckte und motivierte Czernin seinen eigenen politischen Kurswechsel. Seit Ende August 1917 verfolgte er nicht mehr die Friedenspolitik Kaiser Karls mit ihrer Tendenz zur Föderalisierung Österreich – Ungarns. Zusammen mit Prinz Gottfried Hohenlohe, Kaiser Wilhelm II. und Kühlmann arbeitete er an der Integration des Habsburgerreiches in das deutsche Reich. Es sollte, ähnlich den süddeutschen Königreichen, Vasall Deutschlands werden.
Bei dieser Veränderung der politischen Linie des Außenministers erschien der dynastische Konflikt der katholischen Habsburger mit den protestantischen Hohenzollern, der seit dem 18. Jahrhundert bestand. Wie wir an anderer Stelle ausgeführt haben, suchte Kaiser Karl im Frühling und Sommer 1917 für seine Friedenspolitik die Unterstützung der süddeutschen Könige. Wäre Deutschland nicht friedensbereit, käme es zur Auflösung des Zweibundes und zum Zerfall des deutschen Nationalstaates. Diese Aktionen dürfte Kaiser Karl mit Nuntius Pacelli besprochen haben. Kaiser Wilhelm II. wußte von solchen Plänen im Hintergrund; er verweigerte aus dynastischen und nationalen Motiven den Frieden. In der Propaganda wurde die Familie Parma zum Sündenbock.(Hatte Wilhelm II. von den Ratschlägen des Prinzen Sixtus vom Frühling 1915 gewußt, Österreich möge sich vom deutschen Bündnis lösen und mit Hilfe des Papstes Frieden schließen? Kannte er die französischen Pläne, Prinz Sixtus zum König von Polen zu erheben?)
Im Sommer 1917 befürchtete die DOHL bei der Diskussion über die Integration Kurlands und Litauens in die deutsche Machtsphäre einen großangelegten gegenreformatorischen Schlag Österreich – Ungarns gegen das protestantische Deutschland. Man vermutete vom Papst und dem römischen Katholizismus, vom katholischen Frankreich, über das befriedete Nachkriegsitalien, über Österreich, Württemberg, Bayern und Sachsen, bis zu den katholischen Ländern Polen und Litauen eingekreist zu werden. Wilhelm II. “[…]sah die Behauptung des protestantischen Kaisertums nach innen und nach außen, nicht zuletzt gegen das Haus Habsburg – Parma als seine Sendung an[…].” Czernin markierte im April 1918 mit der Aktion gegen Prinz Sixtus und gegen die Parma Damen demagogisch seine politische Linie. Er arbeitete für den Anschluß Österreich – Ungarns an Deutschland. Ein solches Konzept war nur mit dem Sturz Kaiser Karls und mit der Einsetzung eines habsburgischen Regenten als Strohmann zu verwirklichen, was Czernin mißglückte. Seine Attacke auf den Kaiser, auf die Integrationsfigur der Donaumonarchie, bewirkte zwar nicht dessen Verzicht auf die Regierungsausübung, jedoch den Vertrauensverlust der Bevölkerung, die Lockerung des Bandes, das den multinationalen Staat zusammenhielt. Genau zum selben Zeitpunkt startete die Propagandaaktion der “Unterdrückten Völker”. Der Kongreß von Rom (8.-11. April 1918) hatte beschlossen, die antikaiserliche und antiösterreichische Propaganda an allen Militärfronten der Donaumonarchie zu beginnen. Von ihrem Erfolg machten die USA die Anerkennung der slawischen Exilregierungen abhängig. Czernin, der gegen die “Masaryks” kämpfte, hatte das vermutlich weder gewollt noch vorhergesehen. Das von ihm verunstaltete Kaiserbild, von den Zeitungen der Alldeutschen wie von den Tschechen multipliziert und transportiert, hielt sich in Mitteleuropa und Österreich – Ungarn. Man findet es bis heute in der österreichischen Historiographie.